Ihre
Körper zeichneten sich als übergroße Schatten auf dem Schneefeld aus.
„Wir
sind Monster, Hope, nichts als monströse Ausgeburten, Weltzerstörer.“
Von
Zeit zu Zeit brach sein Stiefel in die harschige Oberfläche ein, er
musste Acht geben, den vor ein paar Tagen angeschlagenen Knöchel schonen.
Die weiße Fläche schien kein Ende zu haben, allmählich packte Erid die
Verzweiflung. Würde er hier den Tod finden? Jetzt, ausgerechnet, wo Hope
zu ihm gekommen war?
„Nein!“,
brüllte er in die Stille. Er streckte seine Arme aus, als würde er den
Himmel umarmen wollen und schrie noch einmal: „Nein!“
„Was
schreist du so?“
Erid
fuhr herum. Es war keiner zu sehen. Oder besser gesagt, keine, denn die
Stimme war weiblich gewesen. „Wo bist du?“ Seine Zähne schlugen vor Kälte
aufeinander.
Ein
paar Meter vor ihm tauchte wie ein Geist ein Wesen auf. Er hörte Lachen
und stolperte auf die Gestalt zu.
Eine
Frau, tatsächlich. Sie kicherte. „Du konntest mich nicht sehen.“
Schon
war sie wieder verschwunden. Aber Erid erkannte ihren Trick nun aus der Nähe.
Sie trug ein schneeweißes Cape. Schloss sie es, war es, als gäbe es sie
nicht. Schlug sie es auseinander, kam das dunkle Kleid darunter zum
Vorschein.
Dankbar
lachte nun Erid. „Ich bin am Verrecken. Mir ist so kalt.“
Hope
schnüffelte mit einem verhaltenen Knurren an der Frau, die Koseworte
murmelte. Auf einmal rieb die Wölfin ihren Kopf an deren Schenkel.
„Geht ja“, sagte die Fremde und wandte sich an Erid: „Willst du
jetzt erfrieren oder mitkommen?“
Sie
drehte sich um, setzte ihren Weg fort, er folgte, während Hope zwischen
ihnen beiden hin und her lief.
Erids
Augen tränten. Die Flüssigkeit fror an seinem Gesicht fest. Er war so
beschäftigt damit, nicht umzufallen und liegen zu bleiben in seiner Übermüdung,
dass er auf die Frau auflief als sie stehen blieb.
„Hoppla!“,
rief sie und war weg.
„Hallo?“,
sagte Erid verwirrt.
„Kommt
schon rein.“
Da
erst bemerkte Erid, dass er vor einem Iglu stand. Von innen schob sie
einen weißen Fetzen zur Seite, er kroch hinein.
Die
Wärme kam so plötzlich, dass er vor Schmerzen aufschrie als sein Körper
zu pulsieren begann. Erid sank auf einem Fellhaufen nieder und stöhnte.
„Hier
hat es satte siebzehn Grad.“ Sie kicherte. „Ungewohnt, was? Ich bin
Samira und du?“
„Erid.
Ich glaube, ich habe seit drei Jahren nicht mehr solche Hitze gespürt.“
Samira
legte das Kapuzencape ab.
Er
starrte sie an: sie war mindestens Achtzig. Wie überlebte sie nur?
„Was
ist? Zieh dich aus, du stinkst, jetzt, wo dein Blut auftaut. Kannst gleich
baden, das Wasser kocht schon.“
Ungläubig
blickte Erid sich um. Im Flammenschein des Ofens – sie hatte einen
richtigen Ofen mit Glastür! – entdeckte er an der rückwärtigen
Eiswand eine Badewanne. Auf der Ofenplatte blubberte kochendes Wasser in
einem Topf.
Samira
warf Hope ein Stück Fleisch hin, das die Wölfin sogleich verschlang.
„Ganz
ausziehen“, sagte sie und Erid beeilte sich, die Schichten abzulegen.
Hope
spitzte die Ohren, weil Erid laut stöhnte als er in das heiße Wasser
stieg.
„Gut.“
Samira reichte ihm ein Stück Kernseife, „runter mit dem Dreck.“
Sie
machte sich am Ofen zu schaffen, legte ein Holzscheit in die Feuerung,
stellte eine Pfanne oben drauf. Dann holte sie aus einer Eisnische nahe
dem Eingangsbereich in Rinde eingeschlagene Päckchen – Erid konnte
nicht genau sehen, was, und schnitt Stücke vom Inhalt ab.
Bald
durchzog ein köstlicher Geruch von gebratenem Speck den Iglu. Erid lief
das Wasser im Mund zusammen und sein Magen schmerzte. Er wusch sich
ausgiebig, Samira warf ein Handtuch in seine Richtung. „Fest rubbeln,
damit es keine Frostbeulen gibt.“
Aber
Erid war bereits schweißgebadet, was für ein Gefühl!
Samira
brachte ihm einen Trainingsanzug. Als er angezogen auf den Fellen saß,
bekam er einen Teller von ihr gereicht.
Knusprige
Speckscheiben mit einer Art Pfannkuchen und gerösteten Nüssen.
„Jetzt
werde ich gleich aufwachen, erfroren im Schneefeld.“
„Spinn
nicht herum, iss“, brummelte Samira. Sie ging zur Wanne und zog den Stöpsel.
Mit
vollen Backen nuschelte Erid: „Wohin leitest du das Wasser ab?“
„Das
Rohr führt nach draußen und spült die Latrine durch.“
Waren
Frauen wirklich um so viel findiger als Männer? Erid schüttelte den Kopf
vor Erstaunen.
Nach
dem Essen ruhten beide auf den Fellen, Hope hatte den Kopf auf Samiras
Bein gelegt.
„Ich
folgte einer Melodie. Hast du sie auch gehört, Samira?“
Sie
nickte. „Deswegen habe ich mich so weit vom Iglu entfernt. Die Nacht überraschte
mich. Den Rest kennst du ja.“
„Wollen
wir Morgen gemeinsam nach dem Ursprung Ausschau halten?“
„Es
muss mit dem Schein am Horizont zusammen hängen“, antwortete sie.
„Ja, ich begleite dich.“
Sie
legte Holz nach, löschte die Kerzen. Es wurde still im Raum.
Und
durch die Nacht tönte zart die Melodie.
..10.12..
©
Elsa Rieger