"Erid,
wach auf! Es ist Zeit zum Aufbruch", sagte Samira.
Er
öffnete die Augen. Samira hielt ihm seine Kleidung entgegen, in dem
Moment fiel etwas auf den Boden. Sie bückte sich und hob den Gegenstand
auf.
"Wo
hast du ihn her?", fragte sie.
Erid
sprang auf. "Du weißt, was das ist?"
"Der
Hoffnungsstern."
"Woher
kennst du ihn?" Er zog sich an.
"In
meiner Jugend habe ich darüber gelesen, er wird von Generation zu
Generation weiter gereicht und es existiert ein Gegenstück. Der zweite trägt
den Namen: Vertrauen." Sie drehte den Stern in ihren Händen, dann
hob sie ihn an und blickte hinein. "Hast du gesehen, im Inneren
bewegt sich etwas. Es sieht aus … Ach nein, dass kann nicht sein."
Samira reichte Erid den Stern. "Sagst du mir, wo du ihn gefunden
hast?"
"Hope
trug ihn an einem Halsband." Er knöpfte sich die Jacke zu, zog die Mütze
über.
Die
alte Frau wandte sich ein Stück von ihm ab und kramte unter einem Regal.
Kurz darauf zog sie einen Schnürsenkel heraus und reichte ihn Erid.
"Was
soll ich damit?" Er sah sie erstaunt an.
"Bind
den Stern wieder um Hopes Nacken, sie wird uns dadurch zur Melodie führen
ohne das wir Umwege gehen oder uns verlaufen."
Als
hätte die Wölfin sie verstanden, erhob sie sich von ihrem Schlafplatz,
reckte ihren Körper und gähnte. Dann setzte sie sich vor ihr Herrchen
und streckte ihm erhaben den Kopf entgegen. Erid befestigte den Stern und
band ihn ihr um.
"Gut gemacht, Hope." Er streichelte ihr übers Fell.
"Komm
Junge, es wird Zeit, dass wir gehen." Samira griff nach dem Korb und
stellte ihn vors Iglu. "Damit wir unterwegs nicht verhungern."
Schnell schnürte Erid sein Bündel und sah sich ein letztes Mal im Iglu
um. Sein Blick fiel auf ein Foto an der Wand, das ihm am Abend nicht
aufgefallen war. Er ging einen Schritt näher. In dem Moment spürte er
eine knochige Hand auf seinem Arm. "Lass uns gehen", mahnte
Samira.
Erid
blieb stehen, versuchte weiterhin die Person auf dem Bild auszumachen.
Samira wurde darauf aufmerksam und stellte sich in sein Blickfeld, sah ihm
in die Augen. "Dafür hast du später Zeit. Komm!" Sie schubste
ihn leicht an.
Gemeinsam
verließen sie die Behausung. Hope lag bereits vor dem Eingang.
"Hope!", sagte Samira. Die
Wölfin sprang auf. "Zeig uns den Weg." Es sah aus, als würde
Hope nicken. Sie schnupperte in alle Windesrichtungen, nieste. Dann
spitzte sie ihre Ohren. Erid beobachtete, dass ihr linkes Ohr plötzlich
heftig anfing zu zucken.
Dann
lief Hope anmutig los, gen Osten.
"Mir
kommt es vor, als würde die Melodie aus dem Westen kommen", flüsterte
Erid Samira zu.
"Psst,
Erid", sie legte ihren Finger auf den Mund. "Hope weiß wohin
sie uns führt, wir brauchen ihr nur zu folgen."
Erid
nickte, packte den Korb. Hope lief einige Meter voraus. Erid passte sich
Samiras Schritt an.
Langsam
ging die Sonne auf und der rot glitzernde Schimmer wurde durch ihre
Strahlen verstärkt. Erid beschlich das Gefühl, als würden sie sich
davon entfernen, auch die Melodie war leiser geworden.
Stunden
des Wanderns vergingen, über eine Schneegebiet ohne Vegetation. Samira
hatte sich ihr durchsichtiges Tuch über die Augen gezogen, um sich vor
der weiß reflektierenden Landschaft zu schützen. Erid kniff die Augen
zusammen und versuchte in die Ferne zu sehen. Er machte einen dunklen
Schatten aus.
Es
könnte ein Haus sein, dachte er, blieb stehen, legte die Hände zum
Schutz vor die Stirn und sah es sich genauer an.
"Siehst
du etwas?", fragte Samira.
"Ich glaube dort drüben steht ein Haus." Er wies mit der Hand
in die Richtung.
"Meine
Augen taugen nicht mehr, ich erkenne es nicht. Kannst du die Entfernung
ausmachen?", fragte sie.
"Zwei,
drei Kilometer." Plötzlich spürte er einen Stoß am Bein. Hope
stand neben ihm und schubste ihn ein weiteres Mal.
"Was
willst du?", fragte er und beugte sich zu ihr hinunter.
Hope
machte einen Satz und spurtete davon.
"Wo
willst du hin? Du gehst in die falsche Richtung!", rief er hinter ihr
her. Dann wandte er sich zu Samira. "Und jetzt? Das Haus liegt vor
uns, es wäre eine geschützte Unterkunft für die Nacht."
Sie legte leicht ihre Hand auf seinen Arm. "Vertraue ihr,
Junge." Dann stiefelte sie hinter Hope her. Erid schüttelte den
Kopf, atmete tief durch, verblieb auf der Stelle und schaute gebannt zum
Haus hin. Unerwartet fing er an zu zittern, eisige Kälte überzog seinen
Körper. Er eilte Samira hinterher. "Wartet auf mich!", rief er,
doch weder sie noch Hope schienen ihn zu hören. "Halt! Lasst mich
nicht zurück!" Er stampfte durch den Schnee, versank immer wieder
bis zur halben Wade. Erid hatte das Gefühl auf der Stelle zu gehen, es
war kein Weiterkommen und seine Begleiter entfernten sich von ihm. Erschöpft
ließ er sich auf die weiße Erdoberfläche sinken, schloss die Augen.
Durch ein blitzartiges Funkeln, das vor seinen Lidern tanzte schrak er
auf. In dem Moment erblickte er Umrisse des Bildes, dass in Samiras Iglu
an der Wand hing. Unsagbare Wärme ging durch seinen Körper, legte sich
um sein Herz. Hoffnungsvoll stand er auf und schritt langsam in Richtung
der beiden Gestalten, die am Horizont immer kleiner wurden. "Ich geb
nicht auf!" Er ballte die Hände. "Jetzt erst Recht nicht!"
Als es dämmerte hatte er sie eingeholt. Samira saß am Lagerfeuer, Hope
kaute an einem Stück getrocknetem Fleisch und sah nur kurz auf, als er
auf sie zuschritt.
"Wo
warst du so lange?", fragte Samira und hielt ihm eine Tasse entgegen.
Duft von frischem Kräutertee stieg ihm in die Nase. Ohne zu antworten
nahm er dankend an, setzte sich neben sie.
"Wer
ist das auf dem Foto in deinem Iglu?", fragte er.
..11.12..
©Sigrid
Wohlgemuth