Der Hund reagierte nicht.
Seine Rute schwang vor Aufregung wild hin und her.
„Komisch.“ Herma ging
auf ihn zu. „Was hast du denn da? Geh weg!“ Sie schubste ihn energisch
zur Seite. Der Hund sprang zurück und lief davon. Herma beugte sich vor.
Etwas Rotes schimmerte zwischen den Blättern hindurch. Sie griff danach.
Sand und lockere Erde rieselten zur Seite. Einen Moment später hielt
Herma ein Tuch in den Händen, das mit einem auffallenden Rosenmuster
bedruckt war. Sie schüttelte es aus. Der seidige Stoff war feucht und ein
wenig verschmutzt, dennoch glitt er durch ihre Finger. Der Hauch eines
edlen Parfüms stieg Herma in die Nase.
War bestimmt teuer. Wer
wirft denn so etwas weg?
Doch da unten musste noch
mehr sein. An dem Tuch konnte der Hund nicht so gezerrt haben. Ächzend
sank sie auf die Knie und schob den Kopf unter die Zweige. Dicht am
Wurzelstock des Busches entdeckte sie eine von dem Hund halb frei
gegrabene Tasche. Herma schob die restliche Erde beiseite. Eine Badetasche
kam zum Vorschein. Blau-rot-gelb gestreift, eine, wie sie die Touristen
mit sich herumtrugen.
Herma stand schwerfällig
auf. Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Stirn. Sie klopfte die Erde
von der Tasche und warf einen neugierigen Blick hinein. Leer.
Enttäuscht hob Herma den
Kopf. Dann grinste sie.
„Wenn das niemandem gehört,
kann ich es auch behalten.“ Verstohlen warf sie einen Blick über die
Schulter. Niemand zu sehen. Herma faltete das Tuch zusammen und steckte es
ins Seitenfach ihrer Jacke. Die Tasche schob sie unter die Achsel.
Herma legte den Weg zum See
in wenigen Minuten zurück. Willi hockte am Ufer, die Angelrute zwischen
seinen Füßen. Von Kurt keine Spur.
Umso besser, dachte Herma.
„Willi,
sieh mal was ich gefunden habe.“
„Nicht so laut. Du
vertreibst mir die Fische.“ Verärgert kniff er die Augen zusammen.
„Nun hab dich nicht so.
Hier, ist das nicht hübsch?“ Sie faltete das Tuch auseinander.
„Ja, sehr nett“, brummte
Willi, den Blick weiterhin auf das Wasser gerichtet.
„Dann nicht.“ Herma
setzte sich ans Ufer. Die Tasche legte sie über ihre Oberschenkel. Auf
einmal bemerkte sie ein unauffälliges Seitenfach. Herma öffnete den Reißverschluss.
Im Innern fand sie eine silberne Kette, an der ein mit glitzernden Steinen
besetztes Herz baumelte. Außerdem ein besticktes Taschentuch und einen
zusammengefalteten Zettel.
Herma schloss die Hand um
die Kette. Mit ihren fleischigen Fingern fischte sie den Zettel heraus.
Für
Dich, liebste Ruth
Dein
Giovanni
Die Handschrift wirkte
ungelenk, mit steilen Buchstaben. So ähnlich wie Willis Schrift.
„Giovanni“, flüsterte
Herma. Der Name klang nach Sonne, warmen Nächten am Strand und ... Herma
kicherte.
Aber wieso lagen die Sachen
vergraben unter einem Busch?
Sie breitete das Taschentuch
aus. In der Mitte überdeckte ein dunkler Fleck die Blumenstickerei.
Ob das Blut war? Abrupt
richtete Herma den Oberkörper auf. Jemand wollte ein Verbrechen
vertuschen.
„Willi, Willi!“ Sie
stemmte ihren Körper hoch.
„Die Fische“, zischte
er.
„Ach, was interessieren
mich die Fische.“ Die Worte sprudelten aus ihr heraus. „Ich finde, wir
sollten zur Polizei gehen“, endete sie.
„Glaubst du, ich will mich
lächerlich machen? Häng dir das Herz um und dann ist gut.“
Herma schob die Unterlippe
vor.
„Und wenn ich Recht
habe.“
„Herma, ich will meine
Ruhe.“
„Dann gehe ich zum
Wohnwagen zurück.“ Willi nickte nur.
Ohne zu überlegen band
Herma sich das Tuch um den Kopf und stapfte los.
Sicher hatte Willi Recht. In
so einem kleinen Touristenort passierten keine Verbrechen. Ruth gehörte
bestimmt zu diesen reichen, gelangweilten Frauen, die sich einen Liebhaber
nehmen. Sie würde das Seidentuch und die Kette nicht vermissen.
„Gi-o-vanni.“
Herma seufzte leise.
Plötzlich ertönte hinter
ihr eine barsche Stimme.
„Warten
Sie! Woher haben Sie das?“
Erschreckt fuhr sie herum.
Ein Mann, gekleidet in einen hellen Sommeranzug, das graue Haar sorgfältig
nach hinten frisiert, blieb direkt vor ihr stehen.
„Woher haben Sie das?“,
wiederholte er, den Finger auf ihren Kopf gerichtet.
Verlegen tastete Herma nach
dem Tuch.
„Wie bitte?“
„Das Tuch. Es gehört
meiner Frau.“
...
Folge 3 ...