- Leseprobe aus: "Die italienische Verschwörung" -
Manuela schlang sich ein Handtuch um die nassen Haare und schaute, was der Computer inzwischen
herunter geladen hatte.
„Sascha, eine Mail für dich", rief sie auf dem Weg zur Küche.
„Vom wem?"
„Liebesgrüße aus Moskau?", spekulierte sie. „Keine Ahnung, hab nur gesehen, dass es russisch ist."
Sascha ließ sich mit einem Gähnen in der Schlafzimmertür blicken. „Wie kannst du um diese Zeit nur schon so schrecklich munter und ausgeschlafen sein!"
„Dormiglione", neckte Manuela.
„Was? - Und italienisch kannst du so früh am Morgen auch schon!" Sascha gähnte erneut.
„Schlafmütze", wiederholte Manuela auf deutsch. „Schätzchen, die Sonne scheint. Wie kannst du da nur schlafen wollen?"
„Na und, hier scheint sie doch alle Tage."
Manuela feixte: „Du bist nicht nur eine Schlafmütze, sondern auch ein Morgenmuffel. Möchten der Herr den Kaffee im Bett oder am Computer serviert bekommen?"
„Gar keinen Kaffee. Zuerst brauch ich einen Muntermacher."
Manuela warf das feuchte Handtuch nach ihm. „Hab keinen nassen Waschlappen zur Hand."
Sascha stöhnte theatralisch und ließ sich auf den Boden gleiten. Manuela beugte sich herab und gab ihm einen Kuss. Er umschlang sie zärtlich.
„Guten Morgen, meine Süße", flüsterte er, während seine langen Finger den Weg unter ihre Bluse fanden und den Rücken entlang wanderten. Manuela schnurrte genießerisch, vergrub ihr Gesicht in seiner Halsgrube und tastete nach den Knöpfen seines Pyjamas …
Eine halbe Stunde später stürzte Manuela mit einem Schreckensruf in die Küche. Sie hatte den Kaffee vergessen. Am Fußteil der Espressokanne waren Kaffeespuren eingebrannt, aus dem Gewinde sickerte braune Flüssigkeit. Fluchend hob sie, mit einem Topflappen bewaffnet, den Deckel an.
Sascha trat hinter sie. „Tee also", murmelte er und küsste ihren Nacken. Er begutachtete den Schaden. „Bestimmt ist nur die Dichtung verschmort."
Manuela knurrte.
„Schon gut", lachte er. „In welcher Kiste ist die Kaffeemaschine? Ich pack sie aus, während du dich anmalst."
Manuela knurrte erneut: „Wir haben doch noch keinen deutschen Kaffee. Der italienische schmeckt scheußlich, wenn er in der Kaffeemaschine gekocht wird."
„Armes, armes Mädchen …" Sascha schaltete den Wasserkocher an und holte eine große Teekanne aus dem Schrank.
Während Manuela ins Bad zurückkehrte, um sich zu schminken, sah er nach der Post. Die Mail war von seiner Mutter in St. Petersburg.
,Guten Morgen, Saschenka', hatte sie geschrieben. ,Wie beneide ich euch; hier hat es letzte Nacht wieder geschneit … Sag, erinnerst du dich noch an diesen gutaussehenden Gaststudenten, den deine Kusine Natascha so grandios abblitzen ließ? Aber ich mochte ihn gern: Er war so ,italienisch'. Das muss wohl Anfang der Siebziger
gewesen sein. Ein begabter junger Mann; ich hatte ihn ein paar Mal zu uns zum Essen eingeladen. Mir ist wieder eingefallen, wie er hieß: Enrico Zonza. Er kam aus irgendeinem Nest in der Nähe von Neapel; versuchte uns einzureden, es trage den albernen Namen ,Heiliger Erzengel'. Sein Großvater war ein alter Spanien-Kämpfer. Irgendwann traf ich Enrico auf einem Kongress wieder; da war er
Professor in Neapel. - Was wohl aus ihm geworden ist? Du kannst es doch bestimmt herausfinden. Vielleicht triffst du dich mal mit ihm? Alte Beziehungen kann man doch immer gebrauchen.'
Sascha schüttelte amüsiert den Kopf. Typisch - für seine Mutter hatte sich die Welt nicht geändert.
Manuela tauchte aus dem Bad auf. „Und?", fragte sie neugierig. „Von deiner großen Liebe?"
„Si." Sascha drehte sich um und zwinkerte ihr zu. „Von Mama; sie hat einen Ex-Studenten ausgegraben und möchte, dass ich ihn besuche. Sie glaubt, es könnte nützlich sein. Merkwürdige Idee!"
Manuela zuckte die Schultern. „Na und? Wenn du ihr damit einen Gefallen tun kannst, warum nicht?"
„Was wollen wir mit einem Physik-Professor?"
„Weiß nicht - russisch reden vielleicht?" Manuela setzte sich auf seinen Schoß. „Ein Wodka-Gelage veranstalten?"
Sascha knabberte an ihrem Ohr. „Die physikalischen Eigenschaften der Blauen Grotte erklären lassen?"
„Wieso Capri? Hochzeitsreise macht man nach Venedig, nicht nach Capri."
„Ich will dich nicht heiraten …"
„Du willst mich nicht heiraten?", unterbrach ihn Manuela empört und biss ihn ins Kinn.
„Nein", erklärte Sascha ungerührt. „Mamas Physik-Professor ist aus Neapel oder so. Darum Capri. Einen Heiratsantrag mach ich dir erst, wenn du eine gute Partie geworden bist; also streng dich an!"
Manuela setzte einen schmachtenden Blick auf. „Für dich wäre ich zu allem bereit. Aber ich hab' keine Erbtante, die ich umbringen könnte."
„Dann heirate den Physik-Professor und ich werde dein Geliebter. Mama schreibt, er sieht gut aus."
Sie rümpfte die Nase. „Ich glaube nicht, dass sich das rentiert. Italienische Professoren verdienen bestimmt nicht besonders viel."
„Hah! Geldgierig bist du also. Kein Wunder, dass du dich die ganzen zwölf Jahre geweigert hast, mich zu heiraten."
„Ernsthaft jetzt. Sollen wir diesen Physik-Professor besuchen oder nicht?"
„Wenn's passt? Klar können wir meiner Mutter den Gefallen tun. Aber Neapel ist nicht gerade um die Ecke, mindestens fünfhundert Kilometer, oder? Vielleicht kommt er mal nach Rom."
„Zweihundert", korrigierte Manuela. „Wenn er Professor ist, ganz bestimmt. Alle Leute kommen hierher. Rom ist der Mittelpunkt der Welt."
***
„Sascha, auf der Website der Uni Neapel finde ich keinen Zonza. Vielleicht ist er längst in Rente."
„Aber nein; der ist erst Fünfzig oder so. Hätte ich ihn dir sonst als Heiratskandidaten vorgeschlagen?"
Manuela schüttelte den Kopf. „Du vergisst, dass sich hierzulande die Leute im öffentlichen Dienst schon nach fünfzehn Jahren pensionieren lassen konnten."
„Oh!" Sascha setzte ein trauriges Gesicht auf. „Dann hättest du ja gar keine Zeit für einen Geliebten. Also nein, dann kommt Enrico nicht in Frage für dich. Ausgeschlossen!" Er setzte sich neben sie an den Computer. „Bestimmt finden wir ihn über seine Familie. Santo Angelo, ach nein Erzengel, also Santo
Arcangelo müsste der Ort heißen, soll in der Nähe von Neapel sein."
„Santo Arcangelo?" Manuela machte ein verblüfftes Gesicht. Dann begann sie zu kichern. „Von einem Sant'Arcangelo hab ich in der Zeitung gelesen. Der Kardinal von Neapel stammt von dort; die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Wucher gegen ihn. Und der Vatikan hat jetzt Angst, dass die Leute ihre Acht-Promille-Steuer
nicht mehr der Kirche zukommen lassen."
Sascha lachte schallend. „Die Ehrenwerte Gesellschaft! Italien wie im Krimi. Was für ein Gesprächsstoff."
„Na, ich weiß nicht". Manuela war skeptisch. „Stell dir vor, die Zonzas wären mit ihm verwandt. Da würden wir schön ins Fettnäpfchen treten, wenn wir auf das Thema kämen."
Sie startete den Browser erneut. Nach zehn Minuten hatte sie nicht nur das richtige Sant'Arcangelo gefunden, sondern auch eine Telefonnummer von einem Enrico Zonza.
Sascha, noch immer feixend, rief an.
„Pronto", antwortete eine junge Frauenstimme.
„Guten Tag, mein Name ist Sascha Strelkow. Könnte ich Signor Zonza sprechen, Enrico Zonza?"
„Mein Vater ist bis übermorgen in Rom. Wenn es dringend ist, können Sie ihn zu den Essenszeiten unter 3487685346 erreichen".
Sascha konnte Handies nicht ausstehen, aber die Gelegenheit wollte er nicht verpassen und rief während des Abendessens an.
„Buona sera, Signor Zonza. Ich bin Sascha Strelkow, der Sohn Ihrer alten Physikprofessorin in St. Petersburg. Erinnern Sie sich noch an mich? Ich bin zur Zeit in Rom."
Sascha hörte ein lautes Schnaufen, dann war einen Moment Stille.
„Sascha?! Aber wie reizend! So eine Überraschung, der kleine Saschenka. Was machst du denn hier? Wie geht es deiner Mutter? Arbeitet sie noch? Ich bin auch gerade in Rom; morgen Mittag bin ich frei. Wenn du magst, könnten wir uns zum Essen treffen."
„Ja gern", antwortete Sascha, erschlagen von dem Wortschwall, den er nur mit Mühe verstanden hatte. „Ich arbeite hier mit meiner deutschen Partnerin an einem EU-Forschungsprojekt."
„Fein. Ein EU-Projekt? Oh, das kenn’ ich gar nicht. Oder hat es nichts mit Physik zu tun?"
„Nein." Sascha schmunzelte. „Ich hab bloß Geschichte studiert."
„Wie interessant! Das müsst ihr mir morgen alles genau erzählen. Ich bin den ganzen Tag im Institut für Materialforschung, das ist in der Gegend vom EUR; können wir uns dort treffen? Sagen wir um Eins im Checco dello Scapicollo? Das ist in der Via dei Genieri 7."
Sascha drehte sich zu Manuela um: „Hast du Zeit, morgen Mittag am EUR?"
Sie nickte.
„Einverstanden; morgen um Eins in der Via dei Genieri", bestätigte Sascha.
***
Enrico steckte das Handy in die Jackentasche zurück und kramte nach seinen Zigaretten. ‚Die schöne Tatjana! Wann haben wir uns zum letzten Mal gesehen? Vor fünfzehn Jahren? Ob Sascha wohl ein Foto von ihr hat?' Ein kleines Lächeln stahl sich in seine grauen Augen.
„Darf ich Ihnen servieren, Professore?"
Enrico musterte den dampfenden Fisch: „Ja, gern." Eigentlich wäre er lieber erst rauchen gegangen.
Im Klappern des Bestecks klingelte erneut ein Handy. Er hielt inne und lauschte einen Moment, um sich zu vergewissern, ob es seines war.
„Pronto!"
„Ciao Enrico, hier ist Carlo. Hast du gerade Zeit? Bist du allein?"
„Wieso? Ja. Was ist denn los?"
„Es scheint, wir haben ein Problem. Da stöbert jemand im Vatikan-Archiv herum. Pater Anselmo hat mir gestern erzählt, dass sie einen Bericht gefunden hat, den Onkel Giorgio an die Russen geschrieben hatte."
„Wer – sie?"
„Na, diese deutsche Wissenschaftlerin eben, die von Brüssel dafür bezahlt wird."
© August 2003, Annemarie Nikolaus