Hope
stand auf einer Kiste und neben der Kiste stand eine zweite und Erid
öffnete die Kisten und darin lagen gedörrte Früchte, Zwieback,
getrocknetes Brot und Käse, Schokolade. Er füllte seine Taschen und
kletterte nach oben. Er ging zu den summenden Gestalten, hielt ihnen das
Brot und die Früchte hin. Und die Schokolade. Da war es, als zöge jemand
den trüben Schleier von ihren Gesichtern und ihre Augen fingen an zu
leuchten. Sie nahmen die Geschenke, aßen und in ihre Körper kehrte das
Leben zurück. Erid zeigte ihnen die beiden Kisten in der Schneegrube. Sie
lachten und umarmten einander und sie umarmten Erid und dankten ihm mit
Worten, die er nicht kannte, doch er verstand ihre Freude und das Glück.
Und sie summten, und aßen, und tanzten, und lachten.
Erid
und Hope gingen weiter. Das Lachen hinter ihnen wurde leiser und bald
waren sie wieder allein. Plötzlich blieb Hope stehen und knurrte. Erich
horchte. Da war nichts zu hören und zu sehen. So weit das Auge reichte,
keine Menschenseele und kein Tier. Weit vor ihnen lag ein Tannenwald.
Schneeflocken fielen. Eine scharfe Brise peitschte sie auseinander. Hope
stand da mit gesträubten Nackenhaaren. Ihre grünen Augen glühten. Sie
witterte, knurrte nicht, ging ein Stück vorwärts. Erid stand wie
erstarrt. War ein Geist in der Nähe? Konnten Wölfe Geister riechen?
Hope
war stehen geblieben. Leise fing sie an zu winseln, sie schien sich an
etwas zu drängen, setzte sich in den Schnee und senkte den Kopf. Erid
vergaß für Sekunden zu atmen. Hope legte sich auf die Erde und ihre
Haare wurden niedergedrückt, als striche ihr jemand über das Fell. Was
ging da vor sich? Warum hatte die Wölfin sich hingelegt? Jetzt schloss
sie die Augen. "Hope!", rief Erid und war mit wenigen Schritten
bei ihr. Er kniete neben ihr nieder und streichelte ihr Fell. Da packte
jemand seine Hand und eine dunkle Stimme sagte: "Ich habe dir die
Hoffnung geschickt, damit sie dich ins Leben zurückbringt. In ein Leben,
in dem die Wahrheit gilt und die Heuchelei keinen Platz hat."
"Wer
bist du?", fragte Erid er stand auf und tastete nach einem, den er
nicht sehen konnte.
"Ich
bin, der ich bin", war die Antwort des unsichtbaren Wesens.
"Mein
Gott." Erid rieb sich die Augen. War er verrückt geworden? Hörte er
Gespenster?
"Ich
habe deine Gedanken vernommenm, habe gehört, wie du über die Religionen,
die Kirchen geschimpft hast. Ja, oft haben die Kirchen falsche Botschaften
in die Welt gesandt. Botschaften, die weder ich noch die Propheten
verkündeten. Kriege sind geführt worden in meinem Namen. Sinnlose
Kriege. Man hat meinen Namen missbraucht."
"Wenn
du Gott bist, von dem es heißt, er sei allmächtig, warum hast du die
Kriege nicht verhindert? Warum hast du das Leid der Menschen und Tiere
zugelassen? Warum hast du zugelassen, dass die Erde verwüstet wird?
Warum?"
Der
Unsichtbare schwieg.
"Warum?",
schrie Erid und boxte mit beiden Fäusten die Luft, als könne er den
Unsichtbaren treffen.
"Ich
habe den Menschen die Freiheit gegeben, sich für Gut und Böse zu
entscheiden", sagte der Unsichtbare.
"Gott,
du machst es dir zu leicht", sagte Erid. "Du hast den Menschen
die totale Freiheit gegeben, aber nicht die Vernunft, um mit dieser
Freiheit verantwortungsbewusst umzugehen."
"Ich
habe dem Menschen die Vernunft gegeben, dadurch unterscheidet er sich von
allen anderen Wesen auf der Erde."
"Und
warum sind die Menschen unvernünftig? Steckt der Teufel dahinter? Bist du
gegen den Teufel machtlos?" Erid fühlte, wie der Zorn vieler Jahre
in ihm hochschäumte. "Gott, du hast die Menschen im Stich gelasssen."
Schwarz
überzog sich der Himmel. Dumpf grollte der Donner. Erid schaute nach
oben. "Ist das die einzige Antwort, die dir einfällt?", fragte
er. Ein eisiger Windhauch schnitt ihm ins Gesicht. Hope kam zu ihm, leckte
seine Hand und nahm sie zwischen ihre Fänge. Sie zog ihn fort zum
Tannenwald. Hinter ihnen braute sich das zornige Unwetter zusammen. Blitze
und Donner jagten sie. Erid rannte, sie mussten den schützenden Wald
erreichen. Nur noch wenige Meter. Doch plötzlich prallte er gegen eine
Wand. Eine undurchsichtige Wand, die so hart war, dass er sich den Kopf
daran stieß. Das Unwetter war vorbei. Hope winselte und rieb ihren Kopf
an Erids Bein. Erid drehte sich um und da sah er es. Langsam kam es auf
ihn zu.
Am
Horizont glühte der goldrote Streifen.
..7.12..
© Evi Sperber