Er
beendete seinen Ausflug in die Gedankenwelt, stand auf und ging beladen
mit dürren Ästen den Weg zurück zu seiner Höhle. Plötzlich hörte er
ein Rascheln. Schnell duckte er sich hinter einen Felsvorsprung, legte die
Zweige, ohne viel Geräusch zu verursachen, auf den Boden. Ängstlich
wagte er einen Blick hinüber zum Tannenwald. Die Bäume waren längst
nicht mehr grün. Vertrocknet, abgestorben standen sie dicht aneinander
gereiht und bildeten einen düsteren Kontrast zum Schnee. In der Ferne
machte Erid einen Schatten in dem rot leuchtenden Panorama aus. Er kniff
die Augen zusammen, damit er besser erkennen konnte, was sich auf ihn zu
bewegte. Ein Wolf! Angespannt drückte er sich näher an den Stein und
hoffte, der Wolf hätte seine Spur nicht aufgespürt. Er fror, versuchte
seine Hände zu reiben, die Zehen zu bewegen. Unendlich lang kam ihm die
Zeit vor.
Soll ich
mich trauen, nochmals hinüber zu schauen? Er beugte sich vor. Erschrak
und fiel rückwärts in den Schnee. Der Wolf stand unmittelbar vor ihm und
taxierte Erid aus seinen grünen Augen. Dieser schluckte heftig, spürte
seinen schnellen Herzschlag. Minuten vergingen, bis er wagte sich
aufzurichten. Der Wolf ging einen Schritt zurück, legte sich in den
Schnee. Der weiße Boden färbte sich rot. Erst da bemerkte Erid, dass der
Wolf verletzt war.
Hatte er
mich aufgespürt, dass ich ihm helfe? Er kramte in seinen Erinnerungen:
Wurden verwundete Wölfe aus dem Rudel ausgestoßen? Er war sich nicht
sicher, es war lange her, zuviel in den Jahren an Grausamkeiten passiert,
die Einsamkeit hatte ihn vergessen lassen. Ohne weiteres Nachdenken stand
er auf, ging langsam auf den Wolf zu und kniete sich neben ihn. Der Wolf
legte sich auf die Seite, schnaufte heftig dabei. Am Bauch erkannte Erid
eine größere Wunde.
"Ganz ruhig, wir gehen zu meiner Höhle. Steh auf!" Er selbst
erhob sich, spürte einen dumpfen Schmerz in seinen Zehen und einen Stich
im Knöchel. Der Wolf blieb mit geschlossenen Augen liegen. Erid erkannte,
dass die Augäpfel sich hastig hin und her bewegten.
Dann
bückte er sich, schob seine Hände unter das Tier und hob es hoch.
"Das
Holz kann ich später holen." Er beobachtete den Wolf, als würde er
eine Reaktion erwarten.
Auf den
letzten Metern kam es ihm vor, als würde der Wolf an Gewicht zunehmen. In
die Knie gedrückt schaffte Erid es, ihn in die Höhle zu tragen und legte
ihn auf einen mit Stroh bedeckten Platz. Schnell zündete er mit den
verbliebenen Hölzern ein Feuer an, holte Schnee und ließ ihn in einem
Topf über dem Feuer schmelzen. Als das Wasser heiß genug war, zerriss er
ein Laken, tauchte es hinein und wusch die Wunde des Tieres aus. Der Wolf
öffnete die Augen, stöhnte, versuchte sich zu bewegen, doch wurde
sogleich wieder bewusstlos. Getrocknete, heilende Kräuter legte Erid ihm
aufs Fell, wickelte den Rest des Laken fest um seinen Bauch. Erst jetzt
betrachtete er das Tier in seiner gesamten Länge. Das Fell war gräulich,
ein Weibchen.
Ein
schönes Tier!, dachte er und streichelte den Nacken der Wölfin. Auf
einmal stieß er auf einen harten Gegenstand. Er beugte sich tiefer, schob
das Fell leicht auseinander. Etwas Rotes schimmerte ihm entgegen. Es hing
an einem Lederband. Vorsichtig öffnete er den Knoten, zog es unter der
Wölfin hervor, ging zum Höhleneingang, um es besser erkennen zu können.
In seiner Hand lag ein Sternförmiger roter Stein, er glitzerte wie der
Himmel zuvor in der Ferne. Er hielt den Anhänger höher ins Licht und
erschrak. Es kam ihm vor, als würde sich in seinem Inneren etwas bewegen.
Abgesehen davon waren Buchstaben darauf eingraviert. Er kniff die Augen
zusammen, um es entziffern zu können. Langsam las er:
H o f f n
u n g s s t e r n.
Was hatte
das zu bedeuten? Ein roter Hoffnungsstern? Wurde früher nicht immer
gesagt die Hoffnung sei grün? Und wie lange war es her, dass dieses Wort
einen Wert hatte? Hoffnung! Pah, dachte Erid, schob den Stein in die
Hosentasche, ging zurück in die Höhle, sah nach dem Tier, das mit
gleichmäßigen Atemzügen schlief. Dann machte er sich auf den Weg, um
das Feuerholz zu holen.
..4.12..
©
Sigrid Wohlgemuth