22. Dezember 2006

 

 

 

 

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Erid erwachte am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang. Das Feuer war erloschen und er fror.

„Komm, meine Gute, wir müssen weiter“, sagte er zu Hope und schälte sich aus seinen Decken. Mit klammen Fingern packte er seine Habseligkeiten zusammen und hielt dabei kurz inne, als er Samiras Teesäckchen in Händen hielt. Ein bitterer Schmerz durchdrang seine Seele. Samira. Sie war jetzt bereits in einer anderen Welt. Zärtlich drückte er den Beutel an sein Gesicht und sog den würzigen Kräuterduft ein. Ihren Duft. Nein, er würde nicht weinen. Sie würde es nicht wollen. Mühsam kämpfte er die aufsteigenden Tränen nieder, band Hope das Bündel auf den Rücken und schlüpfte in die Schneeschuhe.

„Kommt“, sagte er zu den Wölfen und stapfte los, ohne sich noch mal umzublicken.

Hatte er sich je einsamer gefühlt? Selbst damals, als er Irin verloren hatte und ganz alleine war, war es nicht so schlimm gewesen wie jetzt. Damals hatte er mit allem abgeschlossen, sich seinem Schicksal gefügt und nur noch stumpf vor sich hin gelebt. Das Fühlen war nur eine verschwommene Erinnerung gewesen, etwas, was er weit von sich geschoben hatte, weil es nur noch Schmerz zu fühlen gab. Dann war Hope gekommen, hatte ihn aus seiner Trostlosigkeit erweckt und neuen Mut gegeben. Und Samira. Eine menschliche Seele in all dieser eisigen Düsternis. Wie ein Verdurstender hatte er ihre Zuversicht aufgesaugt und daraus Kraft geschöpft. Jetzt war er wieder alleine. War es nicht viel schlimmer, etwas zu verlieren, als es nie kennen gelernt zu haben? Wäre es nicht besser gewesen, wenn er nie aus seiner Höhle gekrochen wäre und sich auf diese Reise gemacht hätte? Dann müsste er jetzt nicht diesen Kummer fühlen. Allmählich zweifelte er an seiner Mission und wurde mit jedem Schritt wütender auf sich selber. Wäre er doch nie hierher gekommen!

Die kleinen Wölfe hatten Mühe, Hope zu folgen. Sie sanken immer wieder in den Schnee ein und schließlich blieben sie winselnd in einer Schneewehe stecken.

„Na kommt schon, ihr Beiden“, knurrte Erid, „ich trage euch ein Stückchen.“

Er blieb stehen und stopfte umständlich die durchgefrorenen Welpen in seine Jacke. Dankbar kuschelten sie sich an seine Brust und versuchten, unter seine Achseln zu kriechen.

„He, ihr zwei! Das kitzelt! Hört auf damit“, rief Erid in seine Jacke hinein, doch die Welpen schienen völlig unbeeindruckt. Sie knufften einander und versuchten, sich gegenseitig in die Ohren zu zwicken. Gegen seinen Willen musste Erid lächeln. Diese kleinen Wölfe waren einfach unverwüstlich. Sie waren hungrige Waisen, zitternd vor Kälte und auf einer Reise, deren Sinn sie nicht verstanden. Und dennoch waren sie guter Dinge und begnügten sich mit dem, was sie hatten und waren schon zufrieden, wenn Erid und Hope bei ihnen waren.

Erid schluckte. Wie töricht er doch war. Was brauchte er denn mehr, als Hope, seine Hoffnung, und die Kraft seines Herzens? Samira war immer so zuversichtlich gewesen, war es da nicht Verrat an ihr, wenn er jetzt den Mut sinken ließ?

„Zeit, euch beiden Namen zu geben“, sagte er zu den Wölfen. Er überlegte. „Du da“, er deutete auf den kleinen Rüden, „du sollst ab heute ‚Life’ heißen.“ Er kraulte das Weibchen am Ohr. „Und du heißt ‚Faith’, denn ich glaube an das Leben. Ich will dran glauben, was bleibt mir sonst anderes übrig?“

Mit neuem Mut machte er sich wieder auf den Weg.

Er stapfte immer weiter der Melodie entgegen, währen Life und Faith an seiner Brust schlummerten und Hope ihm den Weg wies.

Es war schon fast Mittag, als er es zum ersten Mal bemerkte. Zunächst hatte er es für eine einfache Tierfährte gehalten, die genau auf seinem Weg lag, doch je länger er der Spur folgte, desto klarer wurde sie. Am Abend bestand kein Zweifel mehr. Er folgte einer Menschenspur. Jemand mit Schneeschuhen ging vor ihm. Jemand, der leichter war als er, vielleicht ein Kind oder eine Frau. Und dieser Jemand war langsamer als er. Wenn er in diesem Tempo weiter ginge, würde er sie schon am nächsten Tag eingeholt haben.

..23.12..

© Heike Schulz

 

 
 

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  Stand: 21.12.2006