Sollte
das die Sonne sein? Kündigte sie das nahe Ende des Winters an? Erid
vergaß den schmerzenden Knöchel und seine Brust weitete sich bei dem
Gedanken an den Frühling. Vielleicht dauerte es nur noch kurze Zeit, bis
die Wärme sich wieder für ein paar Monate über der Erde ausbreitete.
"Sonne, ich bete dich an", flüsterte Erid und er kniete nieder
und hob die Hände.
So
ein Blödsinn. Er rappelte sich wieder hoch. Wenn mich hier einer sehen
könnte, der würde glauben, ich hätte einen an der Klatsche. Im Schnee
knien und die Sonne anbeten. Der monatelange Winter hat meinen Verstand
eingefroren. Frühling! Ebensolch ein Blödsinn. Es war doch erst Anfang
Dezember. Woher sollte da der Frühling kommen? Sicher, die Welt war
verrückt, daran hatte man sich gewöhnt. Kriege, heilige, demokratische
und machtgierige, gehörten zum täglichen Einerlei. Millionen Menschen
waren gestorben, hinzu kamen Erdbeben, Flutkatastrophen, Seuchen. Die
Medien hatten jeden Tag die statistischen Sterbeziffern gemeldet. Welche
Namen standen hinter den Ziffern? Was waren es für Menschen gewesen,
welche Wünsche, Hoffnungen, Ängste hatte sie gehabt? Viele von ihnen
hatten gebetet. Weder Allah noch der christliche Gott hatten ihre Gebete
erhört. Nun lagen sie unter der Erde und ihr einziger Trost konnte sein,
dass sie nach allen Schrecken, die sie erlebt hatten, diese endlos langen
Winter nicht ertragen mussten und nicht die Einsamkeit.
Und
ich ertrage sie schon seit drei Jahren. Drei Jahre Einsamkeit und
monatelange Winter. Wie oft habe ich die Hoffnung verloren, wenn die Angst
kam, dass der Winter nie aufhören würde. Wenn die Wölfe heulten und
meine Essensvorräte fast aufgebraucht waren. Und dann wurde es doch
wieder Frühling und mit ihm kam die Hoffnung zurück, dass es irgendwo
jemanden geben könnte, der einsam war wie ich und auf der Suche nach
einer menschlichen Begegnung.
Und
jetzt dieser Lichtstreifen am Horizont, der immer breiter und immer
glühender wurde, als wollte er das Eis und den Schnee wegtauen. Ein
Hoffnungsschimmer? Oder stand wieder ein Stück Welt in Flammen?
Unwillkürlich schnupperte Erid, als könne er mit seiner langen Nase den
Brandgeruch aus so weiter Entfernung wahrnehmen. Die Luft war klar und
frostkalt. Sein Knöchel schmerzte.
..3.12..