2. Dezember 2006

 

 

 

 

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Sollte das die Sonne sein? Kündigte sie das nahe Ende des Winters an? Erid vergaß den schmerzenden Knöchel und seine Brust weitete sich bei dem Gedanken an den Frühling. Vielleicht dauerte es nur noch kurze Zeit, bis die Wärme sich wieder für ein paar Monate über der Erde ausbreitete. "Sonne, ich bete dich an", flüsterte Erid und er kniete nieder und hob die Hände.

So ein Blödsinn. Er rappelte sich wieder hoch. Wenn mich hier einer sehen könnte, der würde glauben, ich hätte einen an der Klatsche. Im Schnee knien und die Sonne anbeten. Der monatelange Winter hat meinen Verstand eingefroren. Frühling! Ebensolch ein Blödsinn. Es war doch erst Anfang Dezember. Woher sollte da der Frühling kommen? Sicher, die Welt war verrückt, daran hatte man sich gewöhnt. Kriege, heilige, demokratische und machtgierige, gehörten zum täglichen Einerlei. Millionen Menschen waren gestorben, hinzu kamen Erdbeben, Flutkatastrophen, Seuchen. Die Medien hatten jeden Tag die statistischen Sterbeziffern gemeldet. Welche Namen standen hinter den Ziffern? Was waren es für Menschen gewesen, welche Wünsche, Hoffnungen, Ängste hatte sie gehabt? Viele von ihnen hatten gebetet. Weder Allah noch der christliche Gott hatten ihre Gebete erhört. Nun lagen sie unter der Erde und ihr einziger Trost konnte sein, dass sie nach allen Schrecken, die sie erlebt hatten, diese endlos langen Winter nicht ertragen mussten und nicht die Einsamkeit.

Und ich ertrage sie schon seit drei Jahren. Drei Jahre Einsamkeit und monatelange Winter. Wie oft habe ich die Hoffnung verloren, wenn die Angst kam, dass der Winter nie aufhören würde. Wenn die Wölfe heulten und meine Essensvorräte fast aufgebraucht waren. Und dann wurde es doch wieder Frühling und mit ihm kam die Hoffnung zurück, dass es irgendwo jemanden geben könnte, der einsam war wie ich und auf der Suche nach einer menschlichen Begegnung.

Und jetzt dieser Lichtstreifen am Horizont, der immer breiter und immer glühender wurde, als wollte er das Eis und den Schnee wegtauen. Ein Hoffnungsschimmer? Oder stand wieder ein Stück Welt in Flammen? Unwillkürlich schnupperte Erid, als könne er mit seiner langen Nase den Brandgeruch aus so weiter Entfernung wahrnehmen. Die Luft war klar und frostkalt. Sein Knöchel schmerzte.

 

..3.12..

© Evelyn Sperber

 
 

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  Stand: 15.12.2006