16. Dezember 2006

 

 

 

 

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Missmutig ließ Erid sich am Feuer nieder und starrte in die Glut, auf denen der Speck in der Pfanne röstete.

„Du lässt dich zu schnell entmutigen“, sagte Samira. „Es kommt ein bisschen Schnee und du stürzt dich in tiefste Verzweiflung. Damit tötest du die Hoffnung!“ Samira stach heftig in einen brutzelnden Speckstreifen.

Erid warf einen raschen Blick auf Hope, die ihn aufmerksam mit ihren klugen Augen fixierte und sich nicht um die Welpen scherte, die dicht um Samira herumschlichen und sich mit schnuppernden Nasen dem Speck auf dem Feuer annäherten.

Erid vergrub das Gesicht in den Händen und fuhr sich schließlich seufzend durch das wirre Haar.

„Was, Samira? Sag mir, was soll ich denn tun?“

„Suche dir ein Ziel. Mache Pläne und überlege Dir, wie du vorgehen willst. Beschäftige deinen Geist mit froher Aussicht auf das Kommende. Das nährt die Hoffung.“ Sie nahm die zwei großen Stück Birkenrinde, die sie von einem abgestorbenem Baum mitgenommen hatte, strich ein paar Krümel herunter und legte den wunderbar duftenden Röstspeck darauf.

„Hoffnung!“ stieß Erid aus. „Hoffnung auf was denn? In dieser zerstörten Welt gibt es doch nur die Aussicht auf den Tod!“

Samira lachte belustigt auf und reichte Erid das Frühstück. „Jedes Leben beginnt mit der Aussicht auf den Tod! Es spielt gar keine Rolle, wie die Umstände sind.“ Sie legte ihre Hand auf Erids. „Erzähle mir nicht, dass der Tod kommt. Sage mir lieber, was du in der Zeit davor mit deinem Leben anfangen willst!“

Erid spürte die warme Lebendigkeit ihrer Hand und endlich wagte er, ihr in die Augen zu sehen.

Ohne sie wäre ich verloren! Dankbarkeit durchflutete ihn, doch sofort mischte sich ein leises Schamgefühl hinein: selbst mit ihr benehme ich mich, als sei ich verloren.

Er senkte den Blick. Er hatte Tage mit Samira verbracht, hatte sie in ihrer friedlichen Gelassenheit beobachtet, hatte sich von ihrer Zuversicht anstecken lassen und das wunderbare Gefühl der Hoffnung und einer neuen inneren Stärke wahrgenommen.

Und jetzt benahm er sich, als spucke er auf dieses Geschenk und zertrete es im Schmutz. Es war Zeit, das er aufhörte, im Selbstmitleid zu baden.

„Du hast recht, Samira. Bitte hilf mir, ein Ziel zu finden. Weißt du, ich hatte früher viele Ziele und das Leben lag wie ein bunter Flickenteppich vor mir, der nur darauf wartete, dass Irin und ich neue Farben hinzuwebten. Als die Katastrophe kam, verlor ich meine Ziele, aber ich hatte Irin und die Hoffung auf ein neues Glück. Doch davon ist mir nichts ist geblieben.“ Erid sah, dass Samira ihm aufmerksam zuhörte. Der Speck auf ihren Rindetellern war inzwischen abgekühlt.

„Schau dir deinen Speck an!“ sagte Samira. Und sage mir, was bedeutet es für dich.“

Erid stutzte. „Was meinst du?“

„Sie hin. Gebrauche deine Sinne. Was siehst du, was riechst du, was fühlst du?“

Erid starrte auf seine Speckstreifen, sog den Röstduft ein, spürte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief und hörte seinen Magen knurren. Dann war ihm plötzlich alles klar. Befreit lachte er auf. „Samira! Alles ist gut! Ich meine, jetzt, in diesem Moment ist alles gut, so wie es ist! Es gibt keine Vergangenheit, nur Erinnerungen. Es gibt keine Zukunft, nur unsere Gefühle bezüglich dazu!“

Samira lächelte anerkennend, doch Erid war noch nicht fertig.

„Es kommt nicht darauf an, wie es wirklich ist, es kommt darauf an, wie wir dazu empfinden! Es kommt darauf an, für welche Empfindungen ich mich entscheide. Ich will kein Selbstmitleid mehr! Ich will vorangehen und mir die Zukunft erschaffen, so, wie ich sie mir vorstelle! Ich werde Irin finden, wenn sie noch lebt... oder eine andere junge Frau, die es ebenso wie Irin verdient, dass ich sie liebe und ihr ein Heim schaffe. Du, Samira, hast es mir gezeigt: Wir selbst sind das Heim, indem wir Liebe, Geborgenheit und Freude leben. Jetzt, in diesem Augenblick.“ Er sprang auf und strahlte. „Wann gehen wir los? Nichts kann mich mehr aufhalten! Wir werden dem Licht entgegengehen und Hope, unsere Hoffnung, wird uns führen. So wie sie die Welpen gefunden hat, werden wir andere Menschen finden! Wir werden vor vorn anfangen, eine starke Gemeinschaft bilden und diesmal werden wir sie auf Wahrheit statt auf Heuchelei begründen!“ Er stutzte. Wahrheit und Heuchelei. Woher kamen diese Gedanken? Er schüttelte den Kopf. Egal. Sie gefielen ihm gut. Er strahlte Samira an und hüpfte ein bisschen auf den Zehen, wie er es als Kind am Weihnachtstage getan hatte, wenn die Vorfreude auf die Bescherung übergroß gewesen war. Er spürte eine so kraftvolle Energie durch seinen Körper pulsieren, dass er kaum abwarten konnte, es dem Schnee da draußen zu zeigen! „Samira, vielleicht könnten wir für die Verseuchten ein Heilkraut finden oder eine Art Schutz für die Nichtangesteckten. Bestimmt gibt es Aussicht auf Heilung!“

Samira nickte. „Aussicht auf Heilung“, sie lächelte. „Das gefällt mir viel besser als Aussicht auf Tod. Aber nun iss endlich deinen Speck!“

..17.12..

© Ilona Hanft

 

 

 
 

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  Stand: 16.12.2006