Missmutig
ließ Erid sich am Feuer nieder und starrte in die Glut, auf denen der
Speck in der Pfanne röstete.
„Du
lässt dich zu schnell entmutigen“, sagte Samira. „Es kommt ein
bisschen Schnee und du stürzt dich in tiefste Verzweiflung. Damit tötest
du die Hoffnung!“ Samira stach heftig in einen brutzelnden
Speckstreifen.
Erid
warf einen raschen Blick auf Hope, die ihn aufmerksam mit ihren klugen
Augen fixierte und sich nicht um die Welpen scherte, die dicht um Samira
herumschlichen und sich mit schnuppernden Nasen dem Speck auf dem Feuer
annäherten.
Erid
vergrub das Gesicht in den Händen und fuhr sich schließlich seufzend
durch das wirre Haar.
„Was,
Samira? Sag mir, was soll ich denn tun?“
„Suche
dir ein Ziel. Mache Pläne und überlege Dir, wie du vorgehen willst.
Beschäftige deinen Geist mit froher Aussicht auf das Kommende. Das nährt
die Hoffung.“ Sie nahm die zwei großen Stück Birkenrinde, die sie von
einem abgestorbenem Baum mitgenommen hatte, strich ein paar Krümel
herunter und legte den wunderbar duftenden Röstspeck darauf.
„Hoffnung!“
stieß Erid aus. „Hoffnung auf was denn? In dieser zerstörten Welt gibt
es doch nur die Aussicht auf den Tod!“
Samira
lachte belustigt auf und reichte Erid das Frühstück. „Jedes Leben
beginnt mit der Aussicht auf den Tod! Es spielt gar keine Rolle, wie die
Umstände sind.“ Sie legte ihre Hand auf Erids. „Erzähle mir nicht,
dass der Tod kommt. Sage mir lieber, was du in der Zeit davor mit deinem
Leben anfangen willst!“
Erid
spürte die warme Lebendigkeit ihrer Hand und endlich wagte er, ihr in die
Augen zu sehen.
Ohne
sie wäre ich verloren! Dankbarkeit durchflutete ihn, doch sofort mischte
sich ein leises Schamgefühl hinein: selbst mit ihr benehme ich mich, als
sei ich verloren.
Er
senkte den Blick. Er hatte Tage mit Samira verbracht, hatte sie in ihrer
friedlichen Gelassenheit beobachtet, hatte sich von ihrer Zuversicht
anstecken lassen und das wunderbare Gefühl der Hoffnung und einer neuen
inneren Stärke wahrgenommen.
Und
jetzt benahm er sich, als spucke er auf dieses Geschenk und zertrete es im
Schmutz. Es war Zeit, das er aufhörte, im Selbstmitleid zu baden.
„Du
hast recht, Samira. Bitte hilf mir, ein Ziel zu finden. Weißt du, ich
hatte früher viele Ziele und das Leben lag wie ein bunter Flickenteppich
vor mir, der nur darauf wartete, dass Irin und ich neue Farben
hinzuwebten. Als die Katastrophe kam, verlor ich meine Ziele, aber ich
hatte Irin und die Hoffung auf ein neues Glück. Doch davon ist mir nichts
ist geblieben.“ Erid sah, dass Samira ihm aufmerksam zuhörte. Der Speck
auf ihren Rindetellern war inzwischen abgekühlt.
„Schau
dir deinen Speck an!“ sagte Samira. Und sage mir, was bedeutet es für
dich.“
Erid
stutzte. „Was meinst du?“
„Sie
hin. Gebrauche deine Sinne. Was siehst du, was riechst du, was fühlst
du?“
Erid
starrte auf seine Speckstreifen, sog den Röstduft ein, spürte, wie ihm
das Wasser im Mund zusammenlief und hörte seinen Magen knurren. Dann war
ihm plötzlich alles klar. Befreit lachte er auf. „Samira! Alles ist
gut! Ich meine, jetzt, in diesem Moment ist alles gut, so wie es ist! Es
gibt keine Vergangenheit, nur Erinnerungen. Es gibt keine Zukunft, nur
unsere Gefühle bezüglich dazu!“
Samira
lächelte anerkennend, doch Erid war noch nicht fertig.
„Es
kommt nicht darauf an, wie es wirklich ist, es kommt darauf an, wie wir
dazu empfinden! Es kommt darauf an, für welche Empfindungen ich mich
entscheide. Ich will kein Selbstmitleid mehr! Ich will vorangehen und mir
die Zukunft erschaffen, so, wie ich sie mir vorstelle! Ich werde Irin
finden, wenn sie noch lebt... oder eine andere junge Frau, die es ebenso
wie Irin verdient, dass ich sie liebe und ihr ein Heim schaffe. Du,
Samira, hast es mir gezeigt: Wir selbst sind das Heim, indem wir Liebe,
Geborgenheit und Freude leben. Jetzt, in diesem Augenblick.“ Er sprang
auf und strahlte. „Wann gehen wir los? Nichts kann mich mehr aufhalten!
Wir werden dem Licht entgegengehen und Hope, unsere Hoffnung, wird uns führen.
So wie sie die Welpen gefunden hat, werden wir andere Menschen finden! Wir
werden vor vorn anfangen, eine starke Gemeinschaft bilden und diesmal
werden wir sie auf Wahrheit statt auf Heuchelei begründen!“ Er stutzte.
Wahrheit und Heuchelei. Woher kamen diese Gedanken? Er schüttelte den
Kopf. Egal. Sie gefielen ihm gut. Er strahlte Samira an und hüpfte ein
bisschen auf den Zehen, wie er es als Kind am Weihnachtstage getan hatte,
wenn die Vorfreude auf die Bescherung übergroß gewesen war. Er spürte
eine so kraftvolle Energie durch seinen Körper pulsieren, dass er kaum
abwarten konnte, es dem Schnee da draußen zu zeigen! „Samira,
vielleicht könnten wir für die Verseuchten ein Heilkraut finden oder
eine Art Schutz für die Nichtangesteckten. Bestimmt gibt es Aussicht auf
Heilung!“
Samira
nickte. „Aussicht auf Heilung“, sie lächelte. „Das gefällt mir
viel besser als Aussicht auf Tod. Aber nun iss endlich deinen Speck!“
..17.12..
©
Ilona Hanft