15. Dezember 2006

 

 

 

 

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Der Wind trug eine Wand aus Schnee zu ihnen heran; er fing sich zwischen den einzelnen Felsen unterhalb des Eingangs und baute dort immer höher werdende weiße Türme. Als der erste zur Seite rutschte, schuf er eine breite Barriere zwischen ihnen und dem Tal, an der der Wind seine Schneefrachten weiter ablud. Dann wurde für Minuten der Gewitterdonner übertönt vom Tosen einer Lawine, die von einem der Hänge donnernd hinabstürzte. Der Schneesturm versperrte ihnen die Sicht auf das Schauspiel.

Doch Erid konnte es sich vorstellen; er zog zwei Äste aus dem Feuer, die erst angekohlt waren. Sie würden tagelang hier festsitzen ohne Nachschub an Holz und Nahrung. „Dort kommen wir nie durch.“ Die Wölfin, unter deren Bauch die Welpen schutzsuchend verschwunden waren, richtete sich auf und drehte ihre Ohren zu ihm, als er zu sprechen begann. „Und ihr drei noch viel weniger.“

Eine heftige Bö drückte die zusammengesunkene Flamme vollends nieder und für einen Augenblick schien es, sie erlösche.

„Du sparst an der falschen Stelle.“ Samira stand erstaunlich behände auf und stellte sich mit ausgebreitetem Umhang zwischen Wind und Feuer.

Unter ihrem missbilligenden Blick schob er die Äste zurück in die Glut. „Wir müssen sparen“, murrte er aber.

„Nachts wird es kalt genug, dass uns die Schneedecke trägt“, erklärte sie. „Heute schlafen wir und morgen Abend brechen wir auf.“ Sie schleifte einen dicken Ast vom Eingang der Höhle heran und stieß ihn ins Feuer.

Das äußere, von frischem Schnee feuchte Ende begann zu qualmen und trieb Erid Tränen in die Augen. Die trockene Hälfte des Astes brannte wie Zunder und warf ihm eine heiße Lohe entgegen.

„Samira!“ Er sprang auf; Rauch und Hitze ärgerten ihn gleichermaßen. „Sollen Hope und die Jungen hier verrecken?“

Sie musterte ihn von oben bis unten, dann drehte sie sich um und ging in die Höhle. Es knisterte und klapperte von dort; länger als nötig, um Kräuter und Becher auszupacken.

Samira goss den Tee auf, warf Hope ein Stück Fladen zu und setzte sich dann neben die Wölfin. „Meinst du, sie haben eine größere Chance zu überleben, wenn wir hier bei ihnen bleiben?“ Sie tätschelte Hopes Kopf. „Vielleicht, wenn sie uns auffrisst.“

Erid fluchte; dann tappte er in die Höhle und wickelte sich ein paar Schritte vom Eingang entfernt in seine Felle. Das Fauchen des Gewittersturms, das gedämpft bis zu ihm drang, erinnerte ihn an Nächte unter einem Zeltdach, auf das der Regen prasselte, während er sich in den Armen irgendeines Mädchens geborgen fühlte.

 

Erid erwachte vom Gebell der Wölfin. Die Welpen balgten in gleißendem Sonnenlicht vor dem Höhleneingang mit ihr.

Samira saß an der gleichen Stelle wie am Abend. Er wagte nicht zu fragen, ob sie die ganze Nacht dort gesessen hatte. Als er die Felle beiseite schob, ging sie an den Rand des Hangs, schaufelte mit ihren Händen Schnee in den Kessel und hängte ihn dann wieder übers Feuer.

Nicht nur dort taute der Schnee; Feuchtigkeit sickerte auch von den Gesteinskanten neben ihrer Höhle. Wo es von den Felsen auf die weiße Fläche vor ihnen tropfte, hatten sich dünne Spuren in die Schneewehe gegraben. An vielen Stellen war der Schnee zusammengesackt, aber nicht genug. Es war lächerlich, sich hinunter zu wagen.

„Dort kommen wir nicht durch“, wiederholte er. „Bis zum Abend taut die Barriere nicht fort.“

„Nicht durch.“ Samira schlug den Tonfall der geduldigen Erwachsenen gegenüber einem störrischen Kind an. „Wir laufen darüber hinweg.“

„Du bist verrückt!“

Ihr Gesicht blieb unbewegt, gerade als habe sie seine Worte nicht gehört. „Du wirst die Welpen tragen.“

Sie starrten sich übers Feuer an, bis Hope winselnd auf sich aufmerksam machte. Als ob sie die Gedanken der Menschen lesen könnte. Erid bückte sich und vergrub sein Gesicht in ihrem warmen Fell. „Du witterst es, nicht wahr? Wir Menschen riechen anders, wenn wir zornig sind.“

Hope schüttelte ihn mit einer Kopfbewegung ab und gab einen quietschenden Laut von sich; die Welpen stürzten auf sie zu.

„Mir scheint, ich zähle nicht mehr.“ Erid presste die Mundwinkel zusammen und stapfte zu den Felsen, wo die Schneewehe begann. Sich an ihnen orientierend, hatte er versucht, die Höhe zu schätzen. Er hatte sich gründlich verschätzt; von oben wirkte die Barriere nicht halb so mächtig wie sie in Wirklichkeit war. Als stünde er an einem Strand und eine riesige Welle käme auf ihn zu. Sie würde unweigerlich über ihnen zusammenschlagen, wenn sie versuchten, hier durchzukommen.

Der Wind trug ihm den Duft gebratenen Specks zu. Samira dort oben kochte und briet unverdrossen, als plane sie ein Festessen. Eher würde es ihr letztes sein.

Zornig trat Erid gegen einen der Felsen; die Hälfte des lockeren Schnees rutschte hinunter und schüttete seinen Fuß zu. Mit einem Fluch stapfte er zurück.

..16.12..

© Annemarie Nikolaus

 
 

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  Stand: 15.12.2006