Der
Wind trug eine Wand aus Schnee zu ihnen heran; er fing sich zwischen den
einzelnen Felsen unterhalb des Eingangs und baute dort immer höher
werdende weiße Türme. Als der erste zur Seite rutschte, schuf er eine
breite Barriere zwischen ihnen und dem Tal, an der der Wind seine
Schneefrachten weiter ablud. Dann wurde für Minuten der Gewitterdonner übertönt
vom Tosen einer Lawine, die von einem der Hänge donnernd hinabstürzte.
Der Schneesturm versperrte ihnen die Sicht auf das Schauspiel.
Doch
Erid konnte es sich vorstellen; er zog zwei Äste aus dem Feuer, die erst
angekohlt waren. Sie würden tagelang hier festsitzen ohne Nachschub an
Holz und Nahrung. „Dort kommen wir nie durch.“ Die Wölfin, unter
deren Bauch die Welpen schutzsuchend verschwunden waren, richtete sich auf
und drehte ihre Ohren zu ihm, als er zu sprechen begann. „Und ihr drei
noch viel weniger.“
Eine
heftige Bö drückte die zusammengesunkene Flamme vollends nieder und für
einen Augenblick schien es, sie erlösche.
„Du
sparst an der falschen Stelle.“ Samira stand erstaunlich behände auf
und stellte sich mit ausgebreitetem Umhang zwischen Wind und Feuer.
Unter
ihrem missbilligenden Blick schob er die Äste zurück in die Glut. „Wir
müssen sparen“, murrte er aber.
„Nachts
wird es kalt genug, dass uns die Schneedecke trägt“, erklärte sie.
„Heute schlafen wir und morgen Abend brechen wir auf.“ Sie schleifte
einen dicken Ast vom Eingang der Höhle heran und stieß ihn ins Feuer.
Das
äußere, von frischem Schnee feuchte Ende begann zu qualmen und trieb
Erid Tränen in die Augen. Die trockene Hälfte des Astes brannte wie
Zunder und warf ihm eine heiße Lohe entgegen.
„Samira!“
Er sprang auf; Rauch und Hitze ärgerten ihn gleichermaßen. „Sollen
Hope und die Jungen hier verrecken?“
Sie
musterte ihn von oben bis unten, dann drehte sie sich um und ging in die Höhle.
Es knisterte und klapperte von dort; länger als nötig, um Kräuter und
Becher auszupacken.
Samira
goss den Tee auf, warf Hope ein Stück Fladen zu und setzte sich dann
neben die Wölfin. „Meinst du, sie haben eine größere Chance zu überleben,
wenn wir hier bei ihnen bleiben?“ Sie tätschelte Hopes Kopf.
„Vielleicht, wenn sie uns auffrisst.“
Erid
fluchte; dann tappte er in die Höhle und wickelte sich ein paar Schritte
vom Eingang entfernt in seine Felle. Das Fauchen des Gewittersturms, das
gedämpft bis zu ihm drang, erinnerte ihn an Nächte unter einem Zeltdach,
auf das der Regen prasselte, während er sich in den Armen irgendeines Mädchens
geborgen fühlte.
Erid
erwachte vom Gebell der Wölfin. Die Welpen balgten in gleißendem
Sonnenlicht vor dem Höhleneingang mit ihr.
Samira
saß an der gleichen Stelle wie am Abend. Er wagte nicht zu fragen, ob sie
die ganze Nacht dort gesessen hatte. Als er die Felle beiseite schob, ging
sie an den Rand des Hangs, schaufelte mit ihren Händen Schnee in den
Kessel und hängte ihn dann wieder übers Feuer.
Nicht
nur dort taute der Schnee; Feuchtigkeit sickerte auch von den
Gesteinskanten neben ihrer Höhle. Wo es von den Felsen auf die weiße Fläche
vor ihnen tropfte, hatten sich dünne Spuren in die Schneewehe gegraben.
An vielen Stellen war der Schnee zusammengesackt, aber nicht genug. Es war
lächerlich, sich hinunter zu wagen.
„Dort
kommen wir nicht durch“, wiederholte er. „Bis zum Abend taut die
Barriere nicht fort.“
„Nicht
durch.“ Samira schlug den Tonfall der geduldigen Erwachsenen gegenüber
einem störrischen Kind an. „Wir laufen darüber hinweg.“
„Du
bist verrückt!“
Ihr
Gesicht blieb unbewegt, gerade als habe sie seine Worte nicht gehört.
„Du wirst die Welpen tragen.“
Sie
starrten sich übers Feuer an, bis Hope winselnd auf sich aufmerksam
machte. Als ob sie die Gedanken der Menschen lesen könnte. Erid bückte
sich und vergrub sein Gesicht in ihrem warmen Fell. „Du witterst es,
nicht wahr? Wir Menschen riechen anders, wenn wir zornig sind.“
Hope
schüttelte ihn mit einer Kopfbewegung ab und gab einen quietschenden Laut
von sich; die Welpen stürzten auf sie zu.
„Mir
scheint, ich zähle nicht mehr.“ Erid presste die Mundwinkel zusammen
und stapfte zu den Felsen, wo die Schneewehe begann. Sich an ihnen
orientierend, hatte er versucht, die Höhe zu schätzen. Er hatte sich gründlich
verschätzt; von oben wirkte die Barriere nicht halb so mächtig wie sie
in Wirklichkeit war. Als stünde er an einem Strand und eine riesige Welle
käme auf ihn zu. Sie würde unweigerlich über ihnen zusammenschlagen,
wenn sie versuchten, hier durchzukommen.
Der
Wind trug ihm den Duft gebratenen Specks zu. Samira dort oben kochte und
briet unverdrossen, als plane sie ein Festessen. Eher würde es ihr
letztes sein.
Zornig
trat Erid gegen einen der Felsen; die Hälfte des lockeren Schnees
rutschte hinunter und schüttete seinen Fuß zu. Mit einem Fluch stapfte
er zurück.
..16.12..
© Annemarie Nikolaus