14. Dezember 2007

 

 

 

 

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Sarahs Rücken schmerzte vom unbequemen Sitzen auf dem Bett. Außerdem hatte das Lesen bei dem schwachen Licht sie angestrengt. Sie legte das Lesezeichen zwischen die Seiten, stand auf und ging zum Fenster. Am liebsten würde sie sich draußen in der Umgebung des Gasthauses ein wenig umsehen, in Aarons Heimat. Weiter westlich musste das Meer sein und Metas Häuschen. Die alte Meta! Über hundert Jahre musste sie jetzt alt sein. Sie würde sie ja treffen in den nächsten Tagen. Von den Wäldern her hörte sie immer noch die Wölfe heulen. Nein, sie wollte das Haus nicht mehr verlassen, war ja froh, dass sie in Sicherheit war. Schließlich war sie in dieser unwirtlichen Gegend ein Fremdkörper, das hatte sie auf der Schlittenfahrt zur Genüge erlebt. Außerdem hatte es zu schneien begonnen. So begnügte sie sich mit dem kleinen Zimmer.

Beim Auf- und Abgehen dachte sie über all die Geschehnisse der vergangenen zwei Wochen nach. War es ein Zufall, dass ihr beim Weihnachtseinkauf in der Ladenzeile gerade dieser wunderbare Schatz in die Hände gefallen war? Sie streichelte das Buch, das sie noch immer in den Händen hielt. Hatte sie denn geahnt, dass es die Geschichte von Aaron enthielt? Und dass sie darin den Aaron vor ihrer gemeinsamen Zeit kennen lernen sollte? Seine Eltern Hersin und Anna hatten ihn so früh verlassen. Den Drang nach Abenteuern hatte er von seinem Vater und die Schönheit von seiner Mutter geerbt. Nach deren Tod hatte Meta ihn großgezogen und darum gekämpft, dass er im Dorf blieb, wollte Unheil von ihm abwenden, die Gute. Später hatte Rachel in Aarons Leben eine bedeutende Rolle gespielt und nach vielen Jahren seine Geschichte aufgeschrieben. Rachel war sogar erfolgreich mit diesem Buch. Schließlich war es auch kein Zufall, dass die Autorin ihre Spuren verfolgt und sie in der Buchhandlung beobachtet hatte. Und nun waren sie sogar gemeinsam hierher gereist in Metas, Aarons und Rachels Heimat, wo kurz vor ihrer Ankunft etwas Schreckliches passiert sein musste.

Sie machte sich bettfertig und kuschelte sich unter die Decke. Dann las sie weiter Aarons Geschichte. Manches wusste sie ja schon von Aaron oder hatte es sich selbst ausgemalt. Meta hatte sich gegen seine Wanderlust nicht durchsetzen können. Bevor er ging, hatte er ihr versprochen, gut auf sich aufzupassen und nicht so leichtsinnig zu sein wie sein Vater, der seinen Mut mit dem Leben bezahlt hatte. Das machte Sarah Hoffnung, dass er tatsächlich noch lebte und es ein Wiedersehen geben würde. Ihr Herz klopfte bei dem Gedanken. Was war mit Rachel gewesen bis zu dem Zeitpunkt, als die ihn während dieser verhängnisvollen Bergtour aus den Augen verloren hatte? War sie nur eine gute Freundin oder war da mehr gewesen? Jedenfalls war Rachel wohl die Letzte, die ihn gesehen hatte. Vor Müdigkeit fielen ihr fast die Augen zu. Sie legte das Buch unter ihr Kopfkissen und schlief ein.

Als sie am nächsten Morgen die Tür zum Gastraum öffnete, hörte sie Vilde leise reden.

„Das schöne kleine Häuschen. Irgendwann musste das ja passieren. Immer um diese Zeit vor Weihnachten zündete sie beim Dunkelwerden eine Kerze an. Sie ging ja kaum noch nach draußen. So war das Licht in ihrem Fenster wie ein Gruß. Alle im Dorf hatten ihre Freude daran. Er gehörte einfach dazu in dieser dunklen Jahreszeit. Alle Jahre wieder. Man hat sie nicht gefunden, sagst du?"

„Stundenlang haben Thoren und die anderen Männer nach ihr gesucht, bis das Schneetreiben zu stark wurde. Die Spuren sind verwischt. Jetzt können wir nur noch auf ein Wunder hoffen." Das war Rachels Stimme.

„In der letzten Zeit soll sie ein wenig verwirrt gewesen sein, sonst hätte sie sich doch Hilfe geholt, anstatt wegzulaufen. Ach, wie schrecklich!" Vilde hatte Tränen in den Augen.

„Von Meta redet ihr, um Gottes Willen. Ihr Häuschen abgebrannt und sie ist verschwunden, nicht wahr?", fragte Sarah und setzte sich zu den beiden Frauen an den Tisch, wo Vilde ihr schon das Frühstück bereitet hatte, Kaffee, Brot und geräucherter Fisch, der nach der erholsamen Nachtruhe gar nicht mehr übel, sondern appetitlich roch.

„Ach, Sarah, verzeih mir, dass ich dich gestern Abend in Ungewissheit hier zurückgelassen habe, aber du hättest wirklich nichts ausrichten können. So hattest du wenigstens eine erholsame Nacht, so hoffe ich doch, oder?"

„Danke, Rachel, war schon okay. Wenn ich gewusst hätte, dass Ihr von Meta redet, hätte ich sicherlich nicht so gut geschlafen. So habe ich weiter in deinem Buch gelesen und bin dann vor Müdigkeit regelrecht in den Schlaf gefallen."

„Siehst du? Aber nun frühstücke mal in aller Ruhe. Dann sehen wir weiter."

 ..15.12..

© Renate Hupfeld

 
 

 Copyright © 2005
  Stand: 13.12.2007