13. Dezember 2007

 

 

 

 

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 Sarah betrat das behaglich warme Zimmer, in das Vilde sie führte. Ihre Tasche ließ sie einfach auf den Ohrensessel fallen, der schräg neben dem Schrank stand. Ihr fehlte die Lust, die Sachen auszupacken.

Wind heulte um das Haus. Sarah schaute aus dem Fenster. Die verschneiten Wälder erschienen in der Dunkelheit wie eine undurchdringliche Wand. Im Schein der Lampe, die vor dem Gasthaus brannte, schwebten glitzernde Kristalle in der frostklaren Luft. Der Schlitten war verschwunden. Nur die gleichmäßigen Spuren der Kufen im Schnee zeugten von seiner Anwesenheit.

Was für ein eigenartiger, trostloser Ort. Und welches Geheimnis hütete er?

Sarah kramte in der Tasche nach dem Buch über Meta. Vor wenigen Tagen hatte Rachel ihr gesagt, dass sie verstehen würde, wenn sie ihre Geschichte gelesen hätte. Sie setzte sich auf das Bett, stopfte sich ein Kissen in den Rücken und schlug die gekennzeichnete Seite auf.

Die Nacht war lang. Und morgen würde Rachel ihr alles genau erklären.

Die Bewohner trugen Hersins und Annas Leichen hinunter ins Dorf. Ab und zu durchbrach Schluchzen die Stille. Die Toten wurden im Wohnzimmer ihres Hauses aufgebahrt. Nebeneinander, in Eintracht. So wie sie gelebt hatten.

Metas Herz war voller Trauer, als sie in die entspannten Gesichter schaute. Aber sie konnte nicht mehr weinen. Zu viele geliebte Menschen waren gegangen.

„Ruhet in Frieden. Ich kümmere mich um Aaron." Sie schlurfte in die Küche. Aaron hockte auf einem Stuhl. In der Hand eine Tasse Milch, die eine Nachbarin für ihn aufgewärmt hatte. Meta bat sie, eine Tasche für ihn zu packen.

„Aaron, verabschiede dich von deinen Eltern." Sie führte ihn an die Bahre und blieb dicht hinter ihm stehen, die Hände auf seine Schultern gelegt.

„Werden sie jetzt nie wieder wach?", fragte er.

„Nein. Aber sie sind dennoch immer bei dir und beschützen dich. Was du auch tust."

„Dann ist es ja gut." Vertrauensvoll griff er nach ihrer Hand.

„Komm, du wohnst jetzt bei mir." Die Tasche in der einen und Aaron an der anderen Hand, verließ Meta mit schweren Schritten das Haus.

Sie brachte ihn in Freds und Pauls ehemaligem Zimmer unter. Obwohl sie sich freute, dass ihr Heim wieder mit Leben gefüllt wurde, wusste sie, wie schwer es werden würde. Für Aaron und für sie selbst. Sie war längst zu alt, um ein Kind groß zu ziehen. Doch wer fragte danach?

„Aaron und ich sind die letzten, die übrig sind. Ich muss dafür sorgen, das es weitergeht."

Aaron wuchs schnell heran. Er trug das wilde Erbe seines Vaters in sich und kletterte auf die höchsten Gipfel. Meta konnte die bangen Stunden nicht mehr zählen, die sie damit verbrachte, auf seine Rückkehr zu warten.

Eines Tages kam er mit einer überraschenden Nachricht.

„Diese Gegend fordert mich nicht mehr. Ich muss weg, Tante. Dorthin, wo die Berge höher sind und steiler. Nächste Woche geht es los."

„Aber Aaron. Du kannst doch nicht alleine…"

„Keine Sorge. Ich geh nicht allein. Rachel begleitet mich."

„Rachel? Meinst du die kleine Schwarzbauer, diese freche Göre? Hätte ich mir denken können, dass die dich dazu anstiftet, deine Heimat - mich - zu verlassen." Meta schaute mit zusammengekniffenen Augen zu ihm auf. Aber Aaron lachte nur.

„Gib ihr nicht die Schuld. Das war allein meine Entscheidung." Er strich ihr einmal über das graue Haar. „Mach dir keine Sorgen, ich komme zurück."

„Nein, Aaron, bitte bleib!", flehte sie. Doch er hörte nicht zu. Meta sah seiner muskulösen Gestalt nach. Er wusste es nicht. Und sie würde es ihm nicht sagen.

Kein Mann, der jemals das Dorf verließ, kehrte zurück. Niemals.

Das war so, seit sie sich erinnern konnte. Sie musste einen Weg finden, ihn zu halten.

..14.12..

© Marion Pletzer

 

 

 
 

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  Stand: 13.12.2007