12. Dezember 2006

 

 

 

 

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Erid trottete hinter Samira, die mit gleichmäßigen Schritten in der Spur der Wölfin ging. Was war nur aus ihm geworden? Ein Sonnenanbeter war er gewesen. Konnte er sich an ihrem Licht und ihrer Wärme gar nicht mehr erfreuen? Wie ein Alptraum lag die vergangene Nacht auf seiner Seele.

Das Tollhaus mit den fellbedeckten Ungeheuern, der brennende Busch und das Wolfsrudel verfolgten ihn in seinen Gedanken.

Und der Schicksalsbericht von Samira wirkte nach. Sein eigenes Desaster war wieder gegenwärtig. Die Flucht aus der zerstörten Stadt zusammen mit Irin, der Schrei der Geliebten, nachdem er sie in den Klauen der kleinen Monster zurückgelassen hatte. Die Totenstille danach. Mozarts Requiem wollte sich breit machen in seinem Kopf. Er wehrte sich dagegen. Wer sagte denn, dass Irin tot war?

Wie ein Liebeslied ertönte plötzlich über ihm die zarte Melodie der Sehnsucht. Er schaute hoch. Der Himmel spannte sich wie eine blaue Glocke über die ganze Welt. Irgendwo war Irin. Die Jahre hatten sie nicht verschluckt. Sie war intelligent und stark. Vielleicht konnte sie ihre Feinde überlisten. Vielleicht hörte sie in diesem Moment, genau wie er, die Melodie der Sehnsucht.

Er fühlte in seiner Hosentasche das Lederband, an dem die Wölfin den roten Hoffnungsstern getragen hatte. Hope, die ihm mit ihrer Zuneigung nach langer Zeit wieder ein Gefühl von Leben geschenkt hatte. Hätte sie ohne ihn die schwere Verletzung überlebt? Hätte er ohne sie den Mut gehabt, jemals den Erdbunker zu verlassen? Auch ihretwegen durfte er nicht aufgeben, musste weiter, immer weiter.

Und die alte Frau vor ihm? Ihr Rücken war zwar gebeugt, aber ihre Schritte waren kräftig. Woher nahm sie diese Kraft? Nachdem er ihr Schicksal kannte, war ihm klar, dass es einerseits das Gleiche war, das ihn nach vorne trieb: die Liebe. Auch Samira hatte die Hoffnung, einen geliebten Menschen wieder zu sehen. Auch sie hatte den Mut gehabt, ihre sichere kleine Behausung zu verlassen. Andererseits hatte sie Fähigkeiten, die ihm unerklärlich waren. Sie sah mehr als er. Lag es nur an der Weisheit des Alters? Was hatte sie im Inneren des Hoffnungssterns entdeckt, das er nicht erkannte? Was hatte sie mit dem geheimnisvollen Hinweis auf ein Gegenstück zum Hoffnungsstern gemeint? Warum war sie gestern nicht der Versuchung erlegen, das Haus zu betreten? Was schließlich gab Samira die unerschütterliche Gewissheit, dass die Wölfin den richtigen Weg fand?

Der Pfad durch die weite Ebene führte in den Wald, der sich über der unteren Hälfte des Bergkegels ausbreitete. Wie ein versteinerter Rosengarten lagen die Felsen rotgolden über den Bäumen.

Erid nahm sich vor, Holz zu sammeln, damit am Abend in einer geschützten Felshöhle ein herrliches Feuer prasseln könnte. Drei Freunde würden beisammen sitzen, in die Flammen schauen, Kräutertee zubereiten, Nüsse und andere Essvorräte auspacken und leise Gespräche führen. Die ganze Nacht lang hätten sie es schön warm. Er zog die Lederschnur aus der Tasche und wickelte sie auseinander. Mit ihr würde er das Bündel Holz zusammenbinden, damit er es besser den Berg hinauf tragen könnte.

Ihm fiel auf, dass ihm das Gehen gar nicht mehr so schwer fiel. Ohne es zu bemerken, hatte er Samiras Schrittrhythmus übernommen. 

 ..13.12..

© Renate Hupfeld

 

 
 

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  Stand: 16.12.2006