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Der lange Weg

 

... 10% Inspiration, 90% Transpiration?

Stimmt. Einen Text sorgfältig und richtig zu überarbeiten, kostet viel viel mehr Zeit als das Schreiben der Rohfassung.

Darum lohnt es, sich die Arbeit einzuteilen  - nicht alles in einem Durchgang erledigen zu wollen, sondern sich die Mühe in kleine "Häppchen" aufzuteilen.

Bei Kurzgeschichten seid ihr gewohnt, alles in einem Rutsch zu erledigen; ist ja auch alles sehr überschaubar und einfach. Aber nicht nur ist ein Roman viel komplexer, sondern die Charaktere sind es auch. Müssen es sein. Und obendrein sollen sie sich auch noch verändern. ;-( 

Wenn ihr an einer Stelle etwas ändert, dann hat das Konsequenzen. (Wenn es keine hätte, würde am Plot was nicht stimmen.) Für die folgenden Kapitel sowieso. Oft aber auch für die vorangehenden, denn plötzlich müsst ihr eine neue Entwicklung planten.

Deswegen tut ihr euch meiner Meinung nach einen großen Gefallen, wenn ihr schrittweise vorgeht. "Erfahrungsgemäß" werden die Überarbeitungen nicht dadurch weniger, dass man versucht, alles auf einmal zu machen. Obwohl natürlich alles mit allem zusammenhängt und wenn ihr ... usw.. Und ihr etwa bei der Überarbeitung der Charaktere durchaus noch mal in den Aufbau eingreift, beispielsweise, weil ihr eine neue Szene braucht, um eine bestimmte Charakterfunktion deutlicher zu machen. Aber es ist ein Unterschied, ob ihr systematisch mit dem Gesichtspunkt Aufbau oder mit dem Gesichtspunkt Charaktere durch einen Text geht.

 

***

Ihr beginnt aber die Arbeit damit, dass ihr NICHTS tut. Lasst euren Text eine Weile liegen, damit ihr Abstand gewinnt und "objektiver" an die Überarbeitung herangehen könnt.

 

In der Zwischenzeit könnt ihr den nächsten Roman anfangen - oder ein paar Vorarbeiten machen: 

* Recherche. Die Infos sammeln, die ihr braucht, um Lücken zu füllen, um die Story zu verorten (das meine ich immer zeitlich wie lokal).

Zum Beispiel Ortsbeschreibungen (Fotos und  Stadtpläne gibt es im Internet). Auch wenn eine Geschichte an einem fiktiven Ort spielt, lohnt es sich, einen oder mehrere reale Orte als "Muster" zu auszusuchen. Damit macht ihr es euch leichter, das Setting mit Details zu füllen. Genauso der zeitliche Kontext, auch wenn eine Geschichte keine "historische" ist, sondern eine heutige: Kleidermoden, Musik, Sportereignisse, Essensmoden ...

Oder Recherche, um die Backstory und den Rahmen zu komplettieren.

 

* Die Figurenbeschreibungen für das Personal vervollständigen (oder überhaupt erstellen ), dass ihr während des First Drafts angeheuert habt.

 

* Die Charakter_funktionen_ für euch klären: Wem schreibt ihr welcheAufgabe innerhalb der Story zu, nun da ihr sie alle habt?

Protag und Antag ist ja noch ganz leicht, aber ist die Protag auch die Hauptperson? Wer beschützt, wer behindert den Protag? Wer repräsentiert die Logik, wer das Gefühl? ...

 

* Wenn ihr mehrere Handlungstränge/Nebenplots habt, kann es auch sinnvoll sein, sie auseinander zu sortieren, damit ihr euch über die "Drehbücher" für die wichtigsten Personen klar werdet und lose Fäden findet.

Einem aus dem "Schreibwerk" ist es sogar mal schon beim Plotting (und das ist gleichbedeutend mit "trotz Planung" ) passiert, dass ihm im dritten Kapitel die Freundin des Protags plötzlich abhanden kam und er hat es überhaupt nicht gemerkt.

 

***

 

Die erste Überarbeitung befasst sich mit der Geschichte als solcher. Deswegen ist es sinnvoll, sie zuerst als Ganzes in den Blick zu nehmen, wenn ihr sie nach dem Liegen-lassen zum ersten Mal lest (und nicht die Tipp- und Grammatikfehler zu suchen )

 

- Versucht, eure Geschichte ein erstes Mal von Anfang bis Ende nur zu lesen, gewissermaßen, als ob ihr simple LeserInnen wäret. Beobachtet dabei auch eure Gefühle. Schreibt danach erst eure spontanen Eindrücke auf, also auch die gefühlsmäßigen. Wo ihr ungeduldig wurdet, werden es auch andere sein.

 

- Während des zweiten Lesens macht ihr dann auch den Plan für die erste Überarbeitung.

Für diesen Plan könnt  ihr die Antworten (aufschreiben) auf folgende Fragen gebrauchen :

*Warum ist die Geschichte für euch wichtig? Warum ist sie für die LeserInnen wichtig und für welche?

*Was ist das _Thema_ (die Prämisse) eurer Geschichte? In max. zehn Worten ..

* Wovon handelt eure Geschichte - in ein bis zwei Sätzen gesagt?

* Wer ist die Hauptperson und was will sie erreichen? Sind Plotziel und persönliches Ziel identisch?

* Könnt ihr nicht eine einzige Figur als zentrale Figur benennen, sondern habt zwei Hauptpersonen: wiederum: Was wollen sie; wie verhalten sich Plotziel und persönliches Ziel zueinander? - Erzählt die Geschichte wirklich davon, was die Hauptperson erreichen will und wie weit sie dabei kommt?

* Wenn ihr eine komplexe Story habt oder/und viel Personal, schreibt kurz für jede (wichtige) Figur auf, was sie will und was sie von Anfang bis Ende in der Geschichte dafür tut. Das trifft sich auch mit dem Aspekt der Funktionen der Charaktere, denn um ihren Job zu erledigen, müssen sie etwas tun. Und wenn ihr hier feststellt, sie tun nicht genug, könnt ihr das bei der ersten Überarbeitung ergänzen - z.B. eine Nebenfigur ausbauen etc.

*Wie sind  die Handlungsstränge miteinander verflochten - zeitlich, kausal; bzw. sollten es eigentlich sein? Dafür machen sich viele Diagramme, Cluster, Szenenkärtchen (die sie ggf. hin- und her schieben) etc..

*"Fazit": Stimmt die Dramaturgie im Wesentlichen? Schlicht und ergreifend in einem Satz zusammengefasst: Es braucht Figuren, die etwas wollen und es braucht ein Hindernis, das sie auf dem Weg zum Ziel überwinden müssen; das schaffen sie oder auch nicht und das hat Konsequenzen.

 

Damit dürftet ihr ganz gut gerüstet sein, um euch beim zweiten Lesen die (wichtigsten?) Änderungen zu notieren..

Nützlich ist es auch, Wendepunkt und Cliffhanger farbig zu markieren. Ihr wollt die LeserInnen ja unterhalten. Faustregel: Alle sechs bis acht Seiten sollte es einen Wendepunkt geben. Wenn nicht, lasst euch noch was einfallen für die Überarbeitung. 

 

(Mit farbigen Markierungen, könnt ihr übrigens auch "sehen", ob ihr genug Konflikte habt oder ob euer Personal zu viel Zeit verbringt mit Nachdenken, Ortswechseln und Kaffee trinken. 

Handlung ist Konflikt - bzw. Konflikt drückt sich in Handlungen aus. Wenn ihr nur die Hälfte des Manuskripts bunt kriegt, solltet ihr euch noch was einfallen lassen.

 

***

 

Jetzt haben wir immer noch nicht angefangen mit dem Überarbeiten ;-(

Machen wir uns das Leben einfach, gehen wir Schritt für Schritt vor. Idealerweise so klein, dass man jeden Teilschritt in einem Zug abschließen kann.

Lediglich im ersten Rewrite geht das nicht.

 

- Zuerst der Aufbau der gesamten Geschichte nämlich. Da müssen wir von Anfang bis Ende erst mal durch.

* In der Exposition müssen  Plotziel, Protag und Motivation (persönliches Ziel) klar werden. Ergo: Wovon handelt die Geschichte eigentlich? Wer ist der "main character", also die Figur, dessen Blickwinkel auf das Problem die Geschichte transportiert? Welche Erzählperspektive ist angemessen?

 

* Dann braucht es einen PlotPoint, der die Geschichte in Gang bringt. Kommt er "früh genug"? Was heißt, ist die Exposition auch nicht zu lang geraten?

 

* Im zweiten Akt dann mühen  sich die Figuren ab, um ihr Ziel zu erreichen oder ihre Aufgabe zu erfüllen - und am Verlauf der Handlung müssen die LeserInnen den Fortschritt (evtl. auch im negativen Sinne) ablesen können.

Zum Überarbeiten überlegt ihr euch hierzu, was euren Plot hauptsächlich vorwärts treibt und ob das deutlich genug wird.

Und auch: Wodurch wird der Plot beendet und woran sieht die LeserIn, dass das Ende näher kommt - sich die Geschichte also nach vorne entwickelt?

- Stimmt die Reihenfolge der einzelnen Kapitel und Szenen?

- Gebt ihr am Ende der Kapitel den LeserInnen einen Grund weiter zu lesen; d.h. wird die Geschichte auf eine neue Ebene gehoben? Gibt es einen Cliffhanger (das muss nichts "Dramatisches" sein - eine offene Frage kann reichen)?

- Gibt es genügend Konflikt bzw. Reibung oder Hindernisse?

- Gibt es lose Fäden? Hab ich überflüssiges Personal? Sind wichtige Figuren ausreichend berücksichtigt oder sind sie gar irgendwo verloren gegangen? 

- Fehlen Szenen (fast immer sind das dann auch Plotlöcher)? Gibt es überflüssige Szenen - was kann man statt dessen mit denen machen? Wird die Geschichte nach vorne erzählt? Gibt es Rückblenden, die den Betrieb aufhalten - wie krieg ich die weg?  (Ja, ich weiß, Rückblenden sind ein heißes Thema ... *gg*) 

 

*Dann kommt der "zweite" Plotpoint, jener, der die Wende zum Erreichen oder endgültigen Scheitern des Plotziels bringt. Ist er ausreichend geplantet oder kommt er - unverzeihlich - daher als "deus ex machina"? 

 

* Und zum Schluss die Auflösung des Ganzen: Habt ihr alle Fäden aufgenommen? Sind alle Teilplots aufgelöst? Habt ihr das Versprechen eingelöst, dass ihr den LeserInnen am Anfang gegeben habt? Sind Plotziel und persönliches Ziel sinnvoll miteinander verknüpft?

 

...Und dann sagen eure TestleserInnen: Aber hier, also da musst du ...:-( 

... und ihr überarbeitet noch mal. 

 

***

Und dann kommt die nächste Runde der Überarbeitung und ihr geht einen Schritt näher an euer Gemälde heran. Soll heißen, einen Schritt tiefer in die Details, nämlich den Aufbau der einzelnen Kapitel und Szenen.

In diesen folgenden Überarbeitungen kann man (vermutlich) das Kapitel, das man sich jeweils vornimmt, in einem Rutsch fertig machen oder zumindest Szene für Szene

- In der zweiten Runde jedenfalls geht es um den Aufbau der einzelnen Kapitel und Szenen, womit ich wieder die Dramaturgie meine.

Dann folgen

- eine für die Charaktere

- eine für die Dialoge

- eine fürs Setting.

Die Reihenfolge ist bei diesen dreien bisschen egal; man kann sich zum Beispiel auch zuerst das Setting vornehmen.

Die Überarbeitung von Charakteren und Dialogen geht teilweise ineinander über. Aber zur Überarbeitung der Charaktere gehört mehr als Dialog; deswegen ist es schon sinnvoll, sich erst systematisch um eines zu kümmern, dann ums andere. Und ich würde immer die Charaktere zuerst behandeln..

... Dann noch mal gucken, ob jetzt alles passt ?

- Danach Stil: Danach erst, dann das ist wirklich die Feinarbeit, wenn alles andere steht. Das ist  also frühestens die sechste Runde. Wenn sich diese Liste hier nicht dadurch ausweitet, dass ihr aufgrund von Feedbacks noch mehr Überarbeitungen dazwischen schiebt.

 

 (c) Annemarie Nikolaus

 

 

 

 


 

 Copyright © 2005
  Stand: 26.08.2005