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"Männerwelt"

Marion Pletzer

- Leseprobe aus: "Am Ende der Reise" -

 

 

 

Ellen hatte sich ganz in die Seekarten vertieft und zuckte zusammen, als die Stimmen nebenan lauter wurden und eine Holztür mit hohlem Klang zuschlug. Sie fühlte sich ertappt; wie jemand, der in fremden Schubladen wühlt. So schnell es ihr auf dem schwankenden Boden möglich war, lief sie um den Tisch herum. In der Sekunde, in der Cook die Kajüte betrat, saß sie auf einem Stuhl und blickte ihn über die Schulter hinweg an.

Cook zog beim Eintreten den Kopf ein und hielt den Rücken leicht gebeugt. Im Vorbeigehen warf er ihr einen kritischen Blick zu, ging zum Fenster und starrte hinaus. Der Anblick der glitzernden Meeresoberfläche schien ihm eine Entscheidungshilfe zu bieten, denn es dauerte nicht lange und er drehte sich um. Die Hände auf den Tisch gestützt, sah er sie an. Das Braun seiner Augen war heller als es auf Gemälden dargestellt wurde, mit einem Schimmer grün darin.

Unruhig rutschte Ellen auf dem Stuhl hin und her. Sie fühlte sich wie auf dem Schleudersitz und mit einem Mal wurde ihr klar, das sie keinerlei Kontrolle mehr über ihr Leben besaß. Was Cook auch entschieden hatte, sie musste es hinnehmen.

„Nun, Miss…, äh, … ja, Hof.“ Er dehnte ihren Namen. „Ihr werdet vorerst an Bord bleiben.“

Erleichtert atmete Ellen aus.

„Ich sagte, vorerst. Sobald sich eine Gelegenheit ergibt, werdet Ihr uns verlassen“, fügte Cook hinzu.

„Was für eine Gelegenheit kann das sein?“, erkundigte sie sich.

Cook zog die Brauen über der Nasenwurzel zusammen. Sein Blick schien zu sagen, dass ihr derartige Fragen nicht zustanden.

„Ein anderes Schiff zum Beispiel. Eines, das nach England zurücksegelt“, antwortete er dann aber doch.

Dass sich Schiffe in den Weiten der Ozeane begegneten, geschah selten. Ellen nickte, froh diese Zeit gewonnen zu haben, um sich über ihre Lage im Klaren zu werden.

 „Diese Reise wird kein entspannter Ausflug. Erwartet keine Rücksichtnahme. Von niemandem“, fuhr Cook fort.

 „Ach,  ich bin nicht so empfindlich.“ Ellen lachte unsicher. Cook reagiert nicht. Seine Gesichtszüge blieben so starr wie die seines bronzenen Pendants im National Maritim Museum in Greenwich.

Nebenan mischten sich die dumpfen Geräusche von Schritten und das Gewirr zahlreicher Stimmen unter das beständige Knarzen der Planken. Nach kurzem Klopfen öffnete sich die Tür einen Spalt und Gore meldete, dass alle Offiziere versammelt waren.

Ellen stand auf. Cook musterte sie einen Augenblick.

„Wie ich dachte. Die Kleidung ist keine Verbesserung“, murrte er und ging voraus in die Messe bis zum Kopfende des Tisches.

Ellen blieb im Türrahmen stehen. Augenblicklich wurde es still. Männer in aufrechter Haltung mit glatt rasierten Gesichtern starrten sie an. Ihre adretten Uniformen sahen erstaunlich gepflegt aus. Käme in diesem Moment Gregory Peck mit einem Dreispitz herein, Ellen würde nicht einmal mehr eine Augenbraue heben.

„Gott behüte!“, rief jemand aus.

„Meine Herren. Ich möchte Euch Miss Ellen Hof vorstellen. Gibson fand sie vor einer Stunde im Laderaum“, sagte Cook.

Einige steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Andere stierten sie unverhohlen mit geöffnetem Mund an. Nur ein schüchtern wirkender, junger Mann in Zivilkleidung schaute freundlich und interessiert.

Das muss der Maler sein oder einer der Wissenschaftler, dachte Ellen und lächelte ihn an. Der junge Mann erwiderte ihr Lächeln und senkte dann den Blick.

„Kehren wir nun um, Sir?“, fragte einer der Offiziere. Fest biss er die Kiefer aufeinander, was das schmale Gesicht mit den hellen, unruhigen Augen hager erscheinen ließ. Das dunkelblonde, glatt nach hinten frisierte Haar, verstärkte den Eindruck.

Ein recht gutaussehender Mann, wenn nicht der unstete Blick und der harte Zug um den Mund wären.

„Nein. Sie wird für einige Zeit an Bord bleiben“, sagte Cook.

„Aber, Sir“, begann der Offizier, wurde jedoch von Cook mit einer kurzen Handbewegung zum Schweigen gebracht. Beim Anblick der feindseligen Gesichter wurden Ellens Hände schweißnass und klebten. Sie kniff kurz die Augen zusammen und beschwor den Gedanken herauf, aufzuwachen. Was sie früher in Sekunden aus Alpträumen hatte erwachen lassen, zeigte keine Wirkung.

„Meine Herren“, sagte Cook und hob beschwichtigend die Hände, obwohl er eher so aussah, als stimme er seinen Offizieren zu. „Wir haben schon anderes überstanden.“ Damit schien das Thema für ihn erledigt zu sein, denn er wandte sich Ellen zu, um ihr die Männer vorzustellen.

„Der zweite Offizier Lieutenant James King, der zugleich auch wissenschaftliche Aufgaben übernimmt. Die dritten Lieutenants John Williamson, sowie William Harvey. Dann noch Master William Bligh.“ Nur zwei der Männer ergriffen zögernd ihre Hand, die sie ihnen zum Gruß entgegenstreckte. Die übrigen nickten nur oder salutierten.

Williamson, der Mann, der gleich zu Anfang das Wort ergriffen hatte, übersah sie völlig. Ellens Blick wanderte zurück und blieb ein wenig länger bei dem jungen Bligh hängen. In wenigen Jahren würde er berühmt sein. Kaum vorstellbar, dass dieser Mann mit den weichen Gesichtszügen, ein grausamer Schiffsführer gewesen sein soll. Oder besser, sein würde. Ein Mann, der seine Mannschaft so lange drangsalierte, bis sie meuterte, ihn mit einigen Gefolgstreuen in einem Boot aussetzte und seinem Schicksal überließ.

Cook winkte sie weiter und beendete die Vorstellung bei dem freundlichen Zivilisten, dem Kunstmaler George Webber.

„Freut mich sehr, Miss.“ Galant beugte Webber sich über ihre Hand und deutete einen Handkuss an.

„Danke sehr“, antwortete Ellen, sah jeden nochmals an und hoffte, auch später jedem Gesicht den richtigen Namen zuordnen zu können.

Im Raum breitete sich unangenehmes Schweigen aus, das Cook schließlich mit der Anordnung unterbrach, Harvey solle seine Kajüte für Ellen frei räumen und für die Dauer ihres Aufenthaltes die Kajüte mit Williamson teilen. Williamson kniff die Augen zusammen. Seine sowieso schon schmalen Lippen bildeten einen Strich.

„Das ist mir peinlich. Ich möchte auf keinen Fall jemanden von seinem Platz vertreiben. Der Laderaum reicht völlig“, sagte Ellen schnell. Ein weiterer Vorteil dieser Unterbringung wäre, dass sie sich damit gleich an dem Ort befand, an dem sie gestrandet war und von dem aus sie hoffentlich wieder nach Hause kam.

„Das ist nicht Eure Entscheidung“, sagte Cook und machte damit Ellens Überlegungen zunichte. „Lasst uns etwas trinken.“ Er  schüttete sich einen Brandy ins Glas und reichte Gore die Karaffe, der sie nach dem Einschenken an einen anderen Kameraden weitergab. Der Letzte stellte sie zurück auf den Tisch. Unter lauernden Blicken nahm Ellen sich ein Glas. Sie schwankte und stellte sich breitbeiniger hin, um das Gleichgewicht besser halten zu können. Ihre Hände zitterten und beim Eingießen verschüttete sie einige Tropfen, die sie eilig mit dem Ärmel wegwischte. Der Alkohol verströmte ein nussiges Aroma. Ellen trank einen kleinen Schluck. Erfreut stellte sie fest, dass der Alkohol die Übelkeit auflöste, das sie die ganze Zeit begleitet hatte.

Ein Verteiler, wie ihre Mutter es nannte. Offenbar half er nicht nur bei fettem Essen, sondern auch bei leichter Seekrankheit.

Die Männer stellten sich zu kleinen Gruppen zusammen und sprachen leise miteinander. Ellen lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Wand. So abgestützt, fiel es ihr leichter, die Schiffsbewegungen auszugleichen. Sie trank einen weiteren Schluck Brandy. Einen kräftigen diesmal, der einen leichten Hustenanfall auslöste und einen missbilligenden Blick Cooks nach sich zog. Vermutlich fand er es anstößig, dass sie Alkohol trank. Oder durfte man gar in der Öffentlichkeit nicht husten? Alles, was sie sagte oder tat, konnte zu einem Missverständnis führen.

„Verzeiht, Miss.“ Webber sprach mit sanfter Stimme. „Woher kommt Ihr? Engländerin seid Ihr gewiss nicht.“ Bei jedem S-Laut bildete sich in der Lücke zwischen seinen Schneidezähnen eine kleine Speichelblase.

„Ich komme aus Hannover.“ Ellen starrte auf den Boden. Sicher folgten nun weitere Fragen zu ihrer Herkunft und wer weiß was sonst noch. Sie ärgerte sich, die Zeit in Cooks Kajüte nicht genutzt zu haben, eine halbwegs plausible Geschichte zu erfinden. Eine Kurzfassung ohne Details, die hinterfragt werden konnten und dennoch glaubhaft genug war, dass niemand nachfragte.

„Ah, daher war mir Euer Akzent vertraut. Ich stamme ursprünglich aus der Schweiz. Lebe jedoch seit meiner Kindheit in England.“

„Die Schweiz ist wunderschön. Wo habt Ihr denn gelebt?“

„In Bern. Ich erinnere mich kaum. Darf ich fragen, mit was Ihr Euch befasst habt?“

Die Hoffnung, ihn mit ihrer Frage von sich ablenken zu können, erstarb.

„Ich habe Kinder unterrichtet“, erwiderte sie ohne lange Überlegung. Die einzige anspruchsvolle Tätigkeit, die ihr einfiel, mit der Frauen in dieser Zeit ihren Lebensunterhalt bestreiten durften.

„Eine Gouvernante. Interessant.“

Das klang nach verkniffenen Lippen, streng frisiertem Dutt und schwarzer Kleidung. Ihr hatte eher der Begriff Lehrerin vorgeschwebt. Das hatte etwas weniger altjüngferliches. Ellen fuhr sich mit den Fingern durch das Haar und lockerte es auf.

„Wie hat es Euch nach Capetown verschlagen?“ erkundigte Webber sich weiter.

„Die Leute, bei denen ich beschäftigt war...“

„Leute?“ Cook runzelte die Stirn.

Ellen hüstelte. Jedes falsch gewählte Wort konnte zum Glück mit dem Sprachproblem entschuldigt werden.

„Die Familie, ..., äh, die Herrschaft, bei der ich im Dienst stand, besuchte Verwandte. Ich habe sie begleitet.“

„Wie heißen sie? Wir sind im Hause des Gouverneurs vielen Gästen vorgestellt worden“, sagte Gore.

Ellens Gesicht wurde glühend heiß. Ihre Verlegenheit vergrößerte sich noch, als es im Raum still wurde und sich alle Augen auf sie richteten.

„Beim Gouverneur waren sie nicht eingeladen. Sie leben außerhalb, zurückgezogen.“

Gore kam nicht mehr dazu nachzuhaken, obwohl sein Blick erahnen ließ, dass die Antwort ihn nicht zufrieden stellte. Williamson löste sich aus der kleinen Gruppe, die dem Gespräch in der Nähe der Tür gelauscht hatte und schritt gemächlich auf sie zu. Die Wölbung des Cognacglases schmiegte sich in seine Handfläche und er schwenkte den goldfarbenen Brandy wie in Zeitlupe.

„Viel mehr als Eure Herkunft würde mich interessieren, wie Ihr auf die Idee gekommen seid, Euch auf dieses Schiff zu schmuggeln.“ Seine Stimme klang schneidend.

Dankbar, Gores prüfendem Blick entrinnen zu können, antwortete Ellen freundlich, ohne seinen Tonfall zu beachten.

„Als Kind bekam ich ein Buch geschenkt, das von den berühmtesten Entdeckern handelte. Kolumbus, Tasman, Vasquez. Ich las so häufig darin, dass die Seiten mit der Zeit ganz abgegriffen waren. Und ich träumte davon, die entfernten Orte selbst zu sehen. Als ich von Captain Cooks Ankunft am Kap erfuhr, habe ich nicht lange gezögert. Mich interessieren sowohl fremde Kulturen und die Flora und Fauna dort, als auch Schiffsführung und Navigation.“ Die Worte sprudelten aus ihr heraus, denn sie entsprachen weitestgehend der Wahrheit. Dennoch musste sie aufpassen, sich nicht in Lügengebilde zu verstricken.

„Navigation?“ Williamson lachte spöttisch. „Frauen können nicht navigieren. Das ist ja lächerlich.“

„Natürlich können sie. Man muss ihnen nur die Gelegenheit geben, es zu lernen. Oder sind Sie schon als Lieutenant auf die Welt gekommen?“

Williamson kniff die Augen zusammen. Mit einer schnellen Bewegung kippte er den Rest des Brandys hinunter.

„Mr. Bligh, versammelt die Mannschaft an Deck.“ Cooks Befehl lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit von Ellen ab.

Bligh salutierte und verschwand durch die Tür.

Ellen atmete kräftig durch. Das erste Riff hatte sie sozusagen umschifft. Sie trank den Rest des Brandys nicht mehr und stellte das Glas auf dem Tisch ab. Auch wenn es verlockend war, die Angst in einem Schwips zu ertränken. Nicht auszudenken, was passierte, wenn sie sich verplapperte. Die Männer wandten sich wieder ihresgleichen zu und beachteten sie nicht weiter.

Lieutenant Philipps, der befehlshabene Marineoffizier, rückte vertraulich nah an King heran. Philipps trug als einziger eine Perücke. Sie saß ein wenig schief auf seinem Kopf, was ihn lächerlich aussehen ließ.

„Wahrlich eine Überraschung. Das muss ich sagen. Was denkt Ihr, Mr. King? Wie wird das Weib sich einfügen?“, fragte er.

King warf ihm einen ungehaltenen Blick zu und schwieg.

„Das ist doch eine Sensation. Meint Ihr nicht? Stellt Euch die Gesichter der edlen Herrschaften in England vor. Wir werden eine Menge zu erzählen haben, wenn wir wieder Zuhause sind“, plapperte Philipps weiter und fingerte kichernd an der Perücke herum, bis sie ihm weit in die Stirn gerutscht war.

„Wenn Ihr meint.“ King stellte sein Glas auf den Tisch und drehte ihm dabei den Rücken zu. Nur für einen kurzen Moment schaute Phillips beleidigt auf Kings Rückseite. Dann zuckte er mit den Schultern und sah sich nach einem willigeren Gesprächspartner um. Seine Suche wurde von Bligh unterbrochen, der meldete, dass die Mannschaft an Deck bereit stand.

Cook nickte und deutete mit einer weiten Bewegung Richtung Tür.

Ellen folgte den Männern mit unsicheren Schritten und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis sie sich den Schiffsbewegungen angepasst hatte. Kurz vor der Tür wurde sie von Cook zurückgehalten.

„Ihr wartet hier, bis Gibson Euch ruft.“

Nach und nach verließen alle die Messe und sie blieb allein zurück. Der Boden begann wieder stärker zu schwanken und sofort kehrte die Übelkeit zurück. Ellen schlich zu der Fensterfront. Irgendjemand hatte den Flügel geschlossen. Sie nestelte an dem Mechanismus herum bis er endlich aufsprang. Frische Luft strömte herein. Wasser klatschte gegen die Bordwand. Gischt spritzte hoch und verteilte sich in einem feinen Sprühnebel in der Luft und auf Ellens Gesicht. Der Brechreiz verging. Ellen lehnte sich ein wenig hinaus. Die salzige Luft ließ sie den Gestank im Innern des Schiffs vergessen. Dann entdeckte sie die geblähten Segel eines weiteren Schiffs, das im Windschatten der Resolution segelte.

Die Männer, die Cook ihr vorgestellt hatte, gehörten zur Mannschaft der dritten Weltumsegelung. Demnach musste dieses Schiff die Discovery sein.

Ellen drehte sich um. Auf dem Gang war es noch ruhig. Allerdings war der Begriff Ruhe in diesem Zusammenhang relativ. In jeder Sekunde des Tages erzeugten die Mannschaft, der Wind, das Wasser und das Schiff selbst, Geräusche, die an Lautstärke durchaus mit einer belebten Straße vergleichbar waren. Ellen starrte auf die Tür. In wenigen Minuten würde sie einer aus über hundert Mann bestehenden Besatzung gegenüber treten. Würden die Männer sie akzeptieren? Oder musste sie befürchten, dass man sie über Bord stieß?

Auf einmal musste sie lachen. Ein wenig zittrig zwar, aber befreiend. Das alles hatte überhaupt keine Bedeutung. Sie würde diese Vorstellung hinter sich bringen und dann versuchen, auf dem schnellsten Weg in den Laderaum zu gelangen. Dort war der Rückweg nach Hause.

Die Tür öffnete sich und Gibson bat sie, ihm zu folgen.

„Na, dann. Auf in die Höhle des Löwen“, sagte sie.

 

 

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  Stand: 28.02.2011