- Leseprobe
aus: "Jakobs Sternenflug" -
Der
tonnenförmige Putzroboter kippte seinen Müllbehälter auf den Steinboden aus.
Danach klappte er die sechs kurzen Beine ins Innere und ließ sich auf den Dreck
plumpsen. Dadurch wirbelte muffiger Staub auf. Jakob verzog das Gesicht, weil es
stank. Neben ihm hustete Bill.
Er
bückte sich zu dem Roboter. Mit einem Plastikgriffel änderte er auf dem
Display am Rücken den Befehl „esh" in „tsh". Daraufhin
marschierte der Robi vorwärts, drehte aber nach links ab und prallte scheppernd
gegen eine Werkbank. Dann trat er auf der Stelle. Bei jedem Schritt knirschten
seine Metallteile, übertönten die Dudelsackpfeifer des Internats, die im
Musikraum nebenan probten.
Jakob
wischte sich den Schweiß von der Stirn, langsam bereitete sich Panik in ihm aus.
„Los,
streng dich an, sonst müssen wir schrubben." Etwas im Klang der Stimme ließ
Jakob aufschauen. Bill war so blass, dass seine Sommersprossen deutlich
hervortraten.
„Armer
Bill!" Jakob vergaß seine eigene Angst und grinste. „Lass uns das
Handbuch suchen." Er stieg auf eine Werkbank, auf der vom Unterricht noch
Kunstharz klebte, und öffnete den Oberschrank. Vor ihm lagen Schaltpläne, die
er durchblätterte. Nichts.
Bill
schaute in den großen Kunststoffschrank auf der gegenüberliegenden Seite. „Nur
elektronische Bauteile und Gussformen für Plastikarbeiten", meldete er.
Der
zweite Oberschrank, den Jakob sich vornahm, enthielt Bücher. „Arbeiten mit
Kunstharzen, Roboter bauen, Kinder für den Werkunterricht motivieren", las
Jakob vor. „Das Handbuch für Putzroboter. Hurra!" Triumphierend hielt er
es hoch. „Hilf mir beim Vergleichen!" Er drückte Bill das Buch in die
Hand.
Bill
las die Gebrauchsanweisung vor. Nach jeder Zeile wartete er, damit Jakob nachkam.
„Stopp,
das haben wir gleich." Jakob fügte einen Doppelpunkt hinzu. Trotzdem trat
der Roboter weiter auf der Stelle.
„Warum
hast du sie bloß zum Wettlauf umprogrammiert!", nörgelte Bill.
„Damit
die lieben Angeber sehen, dass wir nicht blöd sind", knurrte Jakob.
„Das
hilft nicht. Wir Weltraumsiedler bleiben die Dummen."
Die
Tür glitt auf. Sobald Pascal eintrat, beugte Jakob sich wieder über das
Display. Er wollte sich nichts anmerken lassen, außerdem musste er wirklich
noch alle Programme überprüfen.
Eine
Weile sah Pascal ihnen über die Schulter. „Hol Wischlappen und Eimer. Jakob
schafft das nie", spottete er.
Jakob
kniff die Augen zusammen. Am liebsten hätte er Pascal geschlagen. Schweigend
arbeiteten sie weiter. Das Beobachtet werden machte ihn nervös. Zweimal
korrigierte Jakob überhastet einen Befehl, nur um seine Veränderung gleich
wieder rückgängig zu machen.
„Putzen
ist das Einzige, was rigulanische Hinterwäldler können, programmieren solltet
ihr lieber uns überlassen", stichelte Pascal weiter.
Jakob
ballte die Faust, sodass der Griffel sich bog. Bill legte die Hand auf seinen
Arm und drückte ihn. Als Jakob ihn ansah, schüttelte er seinen Kopf leicht.
Dann zeigte er auf ein doppeltes Wort. Jakob holte tief Luft, bevor er eins
davon löschte. Bill hatte recht, ein Streit würde nichts bringen.
In
einem großen Bogen schlenderte Pascal an ihnen vorbei zum Lehrerpult vor der
hinteren Wand. Der Unterrichtscomputer schaltete Ton und Bildschirm durch den
Bewegungsmelder automatisch an. Pascal stellte den Informationskanal des
Internets an.
Eine
Sternenkarte mit dem Ausschnitt von Alpha Centauri erschien als räumliche
Abbildung vor der Wand. Jakob bekam Heimweh. Wie gerne wäre er jetzt auf Rigulo.
Eine
weibliche Computerstimme sagte: „Hier sind die Nachrichten vom 16. Mai 2265.
Terroristen haben den Direktor der Bergwerksgesellschaft auf Rigulo in Alpha
Centauri als Geisel genommen. In drei Tagen werden sie mit den gestohlenen
Sternenschiffen die Umlaufbahn der Erde erreichen. Die Regierung kündigte an,
hart vorgehen zu wollen."
Jakob
drehte sich um. Er schluckte und zwinkerte die Tränen weg. „Hoffentlich ist
meiner Familie nichts passiert", krächzte er.
„Ha,
deine tollen Rigulaner! Primitiv und dumm, wie du. Nichts als rohe Gewalt",
höhnte Pascal.
„Mistkerl!"
Jakob stürzte sich auf ihn. Durch den Schwung riss er ihn um. Schon wälzten
sie sich auf dem Fußboden. Pascal schlug nach ihm. Jakob wich aus, stieß mit
dem Kopf gegen ein Plastikbein des Lehrerpults, dann traf Pascals Faust seine
Lippe. Der Schmerz stachelte seine Wut an. Mit beiden Händen prügelte er auf
Pascal ein.
„Jakob,
wir haben schon genug Ärger", schrie Bill. Aber Jakob hörte nicht. Bill
beugte sich über die Kämpfer, versuchte Jakobs Arme abzufangen. Dabei bekam er
mehrere Schläge ab. „Aua, hör auf!"
Jakob
ließ die Arme sinken. „Entschuldige", sagte er, noch immer heftig atmend.
Pascal
sprang auf. „Das sage ich dem Direktor! Nur schlagen, aber nichts im Kopf",
rief er und schlüpfte durch die Tür.
Jakob
leckte Blut von der aufgeplatzten Lippe.
„Los,
mach weiter!", bettelte Bill.
„Dieser
blöde Kerl. Von dem lass ich mich nicht mehr fertig machen."
Jakob
ging zum Roboter zurück. Bill folgte ihm. Beide betrachteten das elektronische
Innenleben.
„Da!"
Bill zeigte auf eine verstaubte Stelle am Rande einer Platine. „Wo kommt das
her?"
„Egal!"
Jakob zog sie heraus, pustete den Staub weg und steckte sie wieder hinein.
Daraufhin
drehte der Roboter die optischen Sensoren in seinem Kopf, dabei entdeckte er den
Müllhaufen. Mit dem Greifarm sammelte er die Plastikschnipsel auf. Anschließend
fuhr er Saugrohr und Wischeinheit aus. Im Nu hatte er den Raum gereinigt. Es
roch nach Desinfektionsmittel.
„Na,
geht doch. Wir brauchen nicht zu putzen!" Jakob boxte Bill auf die Brust.
„Dafür
wird der Verweis beim Direktor noch schlimmer, weil Pascal petzt." Bills
Mundwinkel hingen nach unten.
Jakob
zuckte die Achseln. Dann nahm er sich den nächsten Roboter vor. Diesmal suchte
er gleich auf den Platinen nach Staub und Fingerabdrücken. Irgendein Blödmann
hatte ihnen damit einen Streich gespielt.
Bill
reinigte einen dritten, anschließend überspielten sie das reparierte Programm
auf die restlichen Roboter. Endlich arbeiteten alle einwandfrei.
„Uff,
das wäre geschafft." Bill stöhnte erleichtert auf.
Jakob
setzte sich an den Computer. Er versuchte seine Eltern mit Bildtelefon oder Mail
zu erreichen. Immer wieder probierte er es. Langsam breitete sich Angst in ihm
aus.
„Kannst
du nicht deine Freunde anrufen?", fragte Bill.
„Rigulaner
haben keine weitreichenden Sendeanlagen."
Schließlich
rief er die Nachrichten des Informationskanals auf. Unruhig rutschte er auf dem
Stuhl hin und her. Opa wusste bestimmt Genaueres. Als ehemaliger Journalist
kannte er einige Politiker und könnte zwischen Menschen und Rigulanern
vermitteln. Außerdem besaß er eine Raumyacht. Natürlich! Er musste ihn
überreden, nach Rigulo zu fliegen.
Jakob
rief in Berlin an. Auch dort nahm niemand ab. Er schaute auf die Uhr des
Bildschirms. Es war zu spät am Abend. „Ich muss nach Berlin."
„Dann
komme ich mit", meinte Bill.
„Nein,
es reicht, wenn sie mich aus der Schule schmeißen."
Er
rannte in seinen Schlafraum und stopfte Kleidung und die Scheckkarte in den
Rucksack. Jetzt brauchte er nur noch eine gültige Reisegenehmigung, deshalb
lief er in das Büro des Schulassistenten. Bill folgte ihm.
Aus
dem Aufenthaltsraum klang Gelächter. Sie zögerten, dann schlichen sie auf Fußspitzen
daran vorbei.
Jakob
stellte den Computer an, schob seine Schülerkarte in den Schlitz der
Datenträger. Für die Schulunterlagen brauchte er das Passwort, deshalb
versuchte er es mit den Vornamen der Frau und Kinder des Assistenten.
„Irgendwo
hatte er es", murmelte Bill. Er stöberte in der obersten
Schreibtischschublade herum. „Hier", er hielt Jakob einen kleinen Zettel
mit einem Gedicht hin.
„Du
bist super!" Jakob probierte die erste Zeile aus. Er erhielt Zugriff,
knackte die Sicherung seiner Ausweiskarte und gab das Datum ein.
Bill
reichte ihm wortlos seinen Ausweis.
„Deine
Eltern werden sauer sein", warnte Jakob.
„Bis
ich sie wiedersehe, haben sie sich beruhigt. Aber ich gehe morgen nicht allein
zum Direktor!"
Jakob
zuckte die Schultern und trug eine gefälschte Genehmigung ein.
©
2006