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"Neapel, 12. August 1647"

 

Annemarie Nikolaus

- Leseprobe aus: "Königliche Republik" -

 

Vor dem „Gallo bianco“ stieg Mirella aus der Kutsche. An diesem Morgen spiegelte sich die Sonne in den Scheiben des Wirtshauses und verwehrte ihr den Blick hinein. Sie drückte langsam die Klinke herunter. Aber die Tür war verschlossen;

Gegenüber klapperte ein Laden. Kurzentschlossen ging sie über die Straße, reckte sich und klopfte dort.

Nach einer Weile wurde das Fenster geöffnet und eine zahnlose alte Frau blickte zu ihr herunter. „Was ist?“

„Sie verzeihe mir, aber ... Wann hat der ‚Gallo bianco’ auf?“

„Was will Sie dort?“ Die Alte strich ihre dünnen Haare zurück. Sie kniff die Augen zusammen und deutete auf Fabrizio. „War Sie nicht gestern schon hier?“

Mirella fühlte sich ertappt. Sie versteifte sich; aber dann wurde ihr klar, dass sie die Gelegenheit nutzen konnte. „Genau. Aber ich habe etwas vergessen und darum ....“ Wie absichtslos hörte sie auf zu sprechen und sah scheinbar verlegen zu Boden. „Ich bin manchmal ein bisschen schusselig.“

Die alte Frau klang plötzlich sehr viel freundlicher.. „Aber das macht doch nichts, Kindchen. Der Wirt wohnt im Nebenhaus. Geh Sie nur und klopfe.“ Sie reckte sich weiter aus dem Fenster. „Um diese Zeit ist er meist schon wach. Ich denke doch, dass er an einem Tag wie diesem ...“

Mirella verabschiedete sich schnell und machte sogar einen Knicks, um die Alte daran zu hindern, sie mit ihrem Redefluss zu überschwemmen.

Also gehörten der  „Gallo bianco“ und das Nachbarhaus tatsächlich zusammen. Bestimmt gab es eine Tür, die beide Häuser miteinander verband.

Mirella lief mit einem Tanzschritt los und raffte ihre Röcke, um die Straße zu überqueren. „Fabrizio, wem hast du gestern Darios Brief gegeben?“

Fabrizio sah irritiert aus. „Habe ich etwas falsch gemacht? Der Signore sagte, es sei schon in Ordnung; er würde ihn weitergeben.“

„Aber du warst doch im Haus.“

Er nickte. „Sicher. Sollte ich den Brief etwa dem Kind geben, das mir geöffnet hatte?“

„Nein; es war alles ganz richtig..“

„Was tun wir dann hier?“

„Dario erwartet eine Antwort“, fiel ihr ein zu sagen. „Aber wir wollen uns doch nicht lange aufhalten lassen. Wenn du also wüsstest, nach wem ich fragen soll?“

Fabrizio wiegte bedauernd den Kopf. „Frag Sie halt, ob der Edelmann eine Nachricht hinterlassen hat, wenn er nicht zurückgekommen sein sollte.“

„Der Edelmann?“, stellte sie sich begriffsstutzig.

Fabrizio wurde ganz Eifer. „Hat Sie ihn nicht selber gesehen?“

Der Ziegenbock.

Mirella ging zum Haus des Wirts und zog an der Glocke, obwohl Fabrizio am Vortag geklopft hatte. Sie sah die Straße hinunter, während sie wartete. Es war so still hier – ob alle auf die Piazza gegangen waren? Mirellas Neugier wuchs und beinahe hätte sie die Geduld verloren. Am Ende gab es auf der Piazza del Mercato Wichtigeres zu erfahren.

Schließlich wurde die Tür geöffnet. Eine Frau in einem verblichenen Kleid aus grobem Tuch musterte sie mit griesgrämigem Gesicht. „Die Signorina will zu uns?“

„Ich weiß nicht. Mein Bruder hat gestern einen Brief abgeben lassen und ich soll fragen, ob es eine Antwort gibt.“

„Ich weiß von keinem Brief..“ Sie drehte sich um und rief in den Flur: „Giacomo! Giacomo, hast du gestern einen Brief bekommen?“

Irgendwo scharrte ein Möbelstück über Steinboden. Dann quietschte etwas und ein Vogel zeterte.

Am Ende des Flurs trat ein Mann mit Bartstoppeln auf den Wangen und einem Ziegenbart unterm Kinn aus einer Tür.

Hier wimmelt es von Ziegen, kam Mirella in den Sinn. Sie hielt sich schnell die Hand vor den Mund, um ihr Lachen zu verbergen.

„Ich habe keinen Brief bekommen!“ Er gähnte ungeniert. Seine Zähne waren von dunklen Flecken übersät; ein Eckzahn fehlte.

„Scandore. - Unser Kutscher hat hier gestern einen Brief ausgehändigt. Dem Edelmann, der bei Ihm zu Gast war.“

„Davon weiß ich nichts.“

Mirella bemühte sich um ein verbindliches Lächeln. „Ist er wieder da?“

„Wer?“

„Der Edelmann. Er ging kurz darauf weg.“

Der Wirt kam näher und schnürte sich im Gehen die Hose zu. „Wann soll das gewesen sein?“

„Am Nachmittag.“ Mirella trat von einem Fuß auf den anderen. War der Mann so dämlich oder wollte er nicht mit der Sprache herausrücken? „Bitte, es ist wichtig. Mein Bruder erwartet eine Antwort.“

„Am Nachmittag war ich in meinem Wirtshaus.“

„Eben.“ Sie holte tief Luft. „Und der Duca de Maddaloni war am Nachmittag bei Ihm.“

Er riss die Augen auf. Aber nur eine Sekunde; dann wirkte er wieder so verschlafen wie zuvor. „Der Herzog hat meine bescheidene Osteria beehrt wie immer, wenn er sich mit seinen Leuten trifft.“ Das klang schon freundlicher. „Aber von einem Brief weiß ich trotzdem nichts.“ Er zog die Hose ein Stück höher. „Ist Sie sicher, dass der Herzog den Brief in Empfang genommen hat?“

„Wer sonst, wenn nicht er?“

„Ich werde ihn fragen, wenn er wiederkommt.“ Der Mann hatte plötzlich eine ganz andere Tonart angeschlagen; nun würde er ihr alles erzählen. Alles, was Dario ihr verschwieg.

Mirella triumphierte. „Wann?“

Der Mann musterte sie von oben bis unten; so lange, bis seine Frau ihn in die Seite stieß. Hoffentlich hielt die Alte sie für ein harmloses Kind; sonst würde sie nach ihrem Weggehen dem Wirt den Kopf waschen und es wäre vorbei mit seiner Hilfsbereitschaft. Solche Männer standen immer unter der Fuchtel; entweder ihrer Frauen selber oder der Schwiegermütter.

„Komm Sie morgen Abend wieder; dann kann ich Ihr die Antwort des Herzogs geben. So er eine für Ihren Bruder hat.“ Er bohrte sich in der Nase und betrachtete dann den Popel zwischen seinen Fingern. „Aber ein junges Ding wie Sie sollte abends zu Hause bleiben. Warum kommt er nicht selber?“

Sie reckte den Kopf. „Es wäre zu verfänglich.“

Da strahlte der Wirt plötzlich. „Vorsichtiger Mann, Ihr Bruder..“ Er trat noch einen Schritt näher und blickte hinaus. „Aber dann sollte Sie auch vorsichtig sein und nicht mit einer Kutsche kommen, die einer wiedererkennen könnte.“

Mirella nickte. „Er hat wohl Recht. Ich werde morgen Abend das letzte Stück zu Fuß kommen. In dieser Gasse wohnen gewiss nur ehrbare Leute.“ Wie Er, verkniff sie sich zuzufügen.

 

Voller Neugier hieß sie Fabrizio, den Heimweg über die Piazza del Mercato zu nehmen. Mirella stieg in der Gasse neben der Kirche des Sant'Eligio Maggiore aus.

Sie tippte einem älteren Mann auf die Schulter. „Was geschieht hier?“

„Die Seidenspinner fordern den Erlass der Steuern.“

„Und? Bekommen sie ihren Willen?“

„Dem einen erlässt der Vizekönig die Steuern und dafür setzt er sie den anderen hoch. Oder erfindet neue.“ Er schüttelte den Kopf.  „So geht das doch nicht.“

Er drängte sich in Richtung Piazza; Mirella folgte ihm geschwind, ehe sich der Weg durch die Menge wieder schloss. Sie erntete manchen scheelen Blick; in ihren feinen Kleidern fiel sie auf. Aber nun war sie so weit gekommen; nun wollte sie auch wissen, was dort vor sich ging.

Auf einem Podest am Ende der Piazza, das dort seit den Tagen Masaniellos stehen geblieben war, stand der alte Genoino und krächzte mit ausgebreiteten Armen zur Menge hinunter. Gegen deren Gechrei kam er mit seiner heiseren Stimme nicht mehr an.

Ein junger Mann, der die rote Mütze der Fischer trug, sprang zu ihm hoch. Er packte Genoino am Arm und versuchte, ihn herunterzuzerren.

„Nach Hause. Geh nach Hause!“, brüllten einige um Mirella herum.

Sie erschrak, dann begriff sie, dass es denen auf dem Podest galt. Oder einem der beiden.

Ein dritter Mann sprang hoch. Er stellte sich an den Rand und zog eine Pistole aus seiner Schärpe. Ein Schuss in die Luft; die Menge verstummte.

„Wir lassen uns nicht länger betrügen.“ Der Mann hielt den Menschen seine Hände hin. „Wir arbeiten sieben Tage in der Woche von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang; und doch reicht das Geld nicht, um unsere Familien zu ernähren. Schluss damit!“

Sie brüllten Zustimmung; viele schwenkten Stöcke, Hellebarden und manch einer auch eine Schusswaffe.

„Aber es wäre kaum besser ohne die gabelle! Wir müssen verhindern, dass die Preise weiter sinken.“

„Wie willst du das ereichen?“, fragte Genoino hinter ihm.

Der Mann drehte sich zu ihm um. „Du wirst es sehen.“ Er winkte den Menschen zu. „Kommt mit!“ Dann sprang er herunter und Mirella sah ihn nicht mehr.

Es gab Bewegung in der Menge; mehr und mehr verließen die Piazza. Mirella wurde beiseite gedrängt. Die meisten schienen ausgerechnet an ihr vorbei zu wollen.

Sie wich zum Portal der Santa Maria del Carmine zurück und blickte den aufgebrachten Menschen hinterher. Nach ein paar Minuten tauchte der Mann auf, der die Menge zum Mitkommen aufgefordert hatte.

Einen Moment kreuzten sich ihre Blicke; dann grinste er sie herausfordernd an. Kannte er sie?

Sie betrat die Kirche und ging durch den Seiteneingang hinaus zur Kutsche. Fabrizio stand dort neben den Pferden, hielt sie am Kopfzeug fest und sprach beruhigend auf sie ein.

Sein Blick leuchtete auf.. „Ich war in Sorge, Signorina. Lasst uns fort von hier, bevor man Sie erkennt.“ Er riss den Schlag auf und streckte ihr die Hand entgegen.

Sie lächelte. „Einer hat mich wohl erkannt.“

Fabrizio sah sie erschrocken an.

„Was ist schlimm daran?“

„Sie ist die Tochter Scandores.“

Nachdem sie eingestiegen war, sah er sich wachsam um.  „Hat Sie nicht begriffen, was sie vorhaben?“

„Doch. Sie wollen mehr Geld für ihre Familien.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie wollen sich die Konkurrenz vom Hals schaffen.“

Sie bekam keine Gelegenheit, nachzufragen, was er damit sagen wollte. Er jagte die Kutsche durch die Gassen, wie Mirella es noch nie erlebt hatte.

Vor dem Haus bremste er so abrupt, dass die Pferde zornig wieherten. Er sprang vom Bock und jagte die Stufen zum Eingang hinauf. Dort warf er sich regelrecht gegen die Tür statt anständig zu klopfen.

Als er im Haus verschwand, raffte Mirella raffte ihre Röcke und kletterte allein aus der Kutsche.

Während sie dann die Treppe hoch ging, stürmte Dario an ihr vorbei, gefolgt von Fabrizio. Dann kam auch Enzo.

„Bleib Er zu Hause, Vater. Ich mach das schon.“ Dario stieg in die Kutsche und Fabrizio jagte davon, bevor Enzo alle Stufen hinuntergegangen war .

 „Vater!“

Er sah zu Mirella hoch. „Sag Gina, sie soll alle Männer zum Kontor schicken!“

„Was ist denn los?“

„Tu, was ich dir sage.“

 

Bevor Gina ihr Messer weggelegt und sich die Hände gewaschen hatte, stand Enzo selber schon im Hof und rief die Männer zusammen.

Gina zerrte an dem Handtuch, das sie zwischen den Fingern hielt. „Sie werden nichts ausrichten. Sie kommen zu spät!“

„Aber was ist denn los?“

Gina starrte sie fassungslos an. „Du warst doch selber dort! Hast du es denn nicht begriffen?“

„Aber ...“ Mirella sah den Mann von der Piazza vor sich und jetzt fiel es ihr ein: Sie hatte ihn im Kontor gesehen; er war einer von Enzos Lieferanten.

Die beiden Gärtner, die Stallburschen und der alte Hausdiener sammelten sich im Hof um Enzo; dann griff sich jeder einen Eimer und sie rannten hinaus. Enzo folgte ihnen langsam.

Gina hackte mit solch grimmigen Gesicht auf die Zwiebeln ein, als wolle sie sie totschlagen. In ihren Augen standen Tränen. Sie wischte sich die Hand an der Schürze ab und dann mit der Schürze übers Gesicht. „Sind die Zwiebeln scharf!“

Argwöhnisch sah Mirella ihr zu. „Lass mich das machen.“

„Das gehört sich nicht.“

Mirella nahm ihr das Messer weg.

Gina schluchzte auf, während Mirella das Hackbrett zu sich heranzog. „Du ruinierst dir das Kleid.“

Unwillkürlich blickte Mirella an sich herab. „Es ist doch bloß ...“ Florentiner Stoff. Das hatte Fabrizio mit der Konkurrenz gemeint!

Entsetzt sah sie Gina an. „Die Seidenspinner brennen unser Lager ab!“ Sie sprang auf. „Wir müssen den Männern beim Löschen helfen.“

Gina schluchzte lauter. „Bleib hier! Es ist gefährlich!“

„Eben!“ Mirella griff nach dem Eimer, der unter dem Waschtisch stand.

 

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  Stand: 28.02.2011