Sarah
überlegte, welchen Weg sie wählen sollte. Dann wandte sie sich nach
rechts, Richtung Ortsausgang. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen und
ihre Atemwolken verflüchtigten sich in der klaren Luft.
Auf
einmal hörte sie jemanden rufen. Sie drehte sich nicht um, sondern
marschierte einfach weiter.
„Sarah,
bitte!" Aaron keuchte vom schnellen Laufen.
Sie
blieb stehen und sah ihn an.
„Es
tut mir so Leid", begann er. Seine Augen waren vom Weinen gerötet.
„Das
braucht es nicht."
„Ich
möchte dir einiges erklären."
Sie
zögerte. Brauchte sie wirklich noch eine Erklärung?
„Bitte."
„Na
schön. Gehen wir ein Stück, ja? Sonst fange ich an zu frieren."
Langsam
folgten sie dem Straßenverlauf. Nach wenigen Metern fielen sie in
Gleichschritt.
„Es
muss sehr enttäuschend für dich gewesen sein, dass ich nicht zu dir
zurückgekommen bin."
„Nein",
unterbrach Sarah ihn. „Nicht enttäuschend. Zermürbend, weil die
Ungewissheit schwer zu ertragen war. Wenn du mir nur ein Wort gesagt
hättest. Ich hätte es verstanden." Sie lächelte ihn an. „Nicht
sofort vielleicht. Aber später. So schwankte ich zwischen dem Schmerz,
dass du auf dem Berg umgekommen warst und den Selbstzweifeln, dich
vertrieben zu haben. Ich grübelte und grübelte. Doch ich fand den Grund
nicht." Sie sagte es ohne Bitterkeit.
„Oh
Gott!" Aaron wandte sich ihr zu, ergriff ihre Hände und sah ihr tief
in die Augen. „Ich war so ein Idiot. Gedankenlos und auch ein wenig
feige. Du bist viel stärker als ich."
Sarah
lachte auf.
„Nein,
das sieht nur so aus. Mir ist in den letzten Tagen mehr klar geworden als
in den zwanzig Jahren davor. Nun fühle ich mich endlich mit meinem Leben
ausgesöhnt. Nur Meta hätte ich gerne noch kennengelernt. "
Aaron
ließ sie los und starrte auf seine Füße. „Sie hat mich aufgezogen,
nachdem meine Eltern tot waren. Dabei war sie schon damals eine alte Frau.
Meta war stark, aber auch unnachgiebig und oft herrisch. Ein Grund,
weshalb ich weggegangen bin. Ich wollte meine eigenen Entscheidungen
treffen. Doch als sie mich bat zurückzukommen und Agnes beizustehen,
konnte ich nicht nein sagen. Obwohl ich dich liebte und dich heiraten
wollte. Metas Wille war stärker als meiner. Mit den Jahren ist sie
weicher und großzügiger geworden. Doch als sie von deiner Ankunft
erfuhr, bekam sie Angst, du würdest alte Wunden aufreißen und mich von
hier wegholen. Deshalb ist sie wohl alleine losgelaufen." Er
lächelte traurig. „So ganz konnte sie die Fäden doch nicht aus der
Hand geben. Dabei hätte sie wissen müssen, dass ich weder sie noch Agnes
je im Stich lassen würde."
„Manche
Ängste man nie ab, Aaron. Ich fahre so bald wie möglich nach
Hause."
„Du
könntest doch bleiben."
Sarah
schüttelte den Kopf. „Nein, das geht nicht. Ich gehöre nicht hier her.
Agnes ist krank. Sie braucht dich. Und dein Sohn ebenfalls."
Sie
gingen zurück zum Haus. Agnes und Rachels Blicke wanderten fragend
zwischen ihnen hin und her.
„Ich
möchte nach Hause. Kann Thoren mich zum Flugplatz bringen?", fragte
Sarah.
Rachel
nickte. „Ich sage ihm gleich Bescheid."
Am
Nachmittag fuhr Thoren mit dem Schlitten vor. Sarah verabschiedete sich
von Agnes und Rachel. Aaron brachte sie nach draußen. Einen Moment
standen sie so dicht voreinander, dass ihre Atemwolken sich vermischten
und gemeinsam in den Himmel stiegen.
Sie
lächelten sich nur an. Alles war gesagt.
Sarah
stieg in die Kutsche. Sie blickte nicht zurück. Wehmütig sah Aaron ihr
nach, bis die Kutsche zwischen den Bäumen verschwand.
Auf
einmal spürte er eine Hand auf seiner Schulter.
„Ich
habe ihre Adresse", sagte Rachel. Gemeinsam gingen sie zurück ins
Haus.